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Der Bürger, das Blut und die Wut

Wo die kruden »Thesen« des Windmachers Thilo Sarrazin herkommen

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.
In Gesprächskreisen und Veranstaltungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung

werden derzeit Sarrazins fragwürdiges Machwerk und die Debatte darum kritisch nachbereitet und analysiert.

Im vergangenen Sommer kochten in der deutschen Öffentlichkeit in einer mit rassistischen Ressentiments aufgeladenen »Ausländerdebatte« die Emotionen über, nachdem der damalige Bundesbanker Thilo Sarrazin, begleitet von einer gewaltigen Medienhysterie, sein umstrittenes Werk »Deutschland schafft sich ab« veröffentlicht hatte. Der diesmal in Weimar organisierte »Gesprächskreis Rechts« der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) widmete sich nun der wissenschaftlichen Aufarbeitung der so genannten Sarrazin-Debatte. Die Gesprächskreise seien darum bemüht, Menschen aus verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Politik und Medien zusammenzuführen und so möglichst weitreichende gesellschaftliche Impulse geben zu können, erläuterte der zuständige Fachreferent der RLS, Friedrich Burschel, im Sendesaal des nichtkommerziellen Senders Radio LOTTE Weimar.

Der Hamburger Wissenschaftler und Autor Volker Weiß stellte bei der Präsentation seines Essays »Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten« Sarrazin in die Traditionslinie rechter apokalyptischer Literatur, in eine Reihe mit Machwerken wie Oswald Spenglers »Untergang des Abendlandes« und der »Herrschaft der Minderwertigen« des Faschisten Edgar Julius Jung. Diese Autoren konstatierten einen mit dem Verlust nationaler Leistungsfähigkeit einhergehenden Kulturverfall, den sie auf den »zersetzenden« Einfluss des »Fremden« zurückführten – seien es nun geistige Strömungen oder Einwanderer. »Sarrazin bereitet zentrale Topoi der Weimarer Rechten und der neuen Rechten der Nachkriegszeit für eine größere gesellschaftliche Empfängergruppe auf, also auch für die bürgerliche Mitte«, meint Weiß. Die stets wiederkehrenden Bilder dieses »endzeitlichen Nationalismus« wiesen einen »Dreiklang« aus Apokalypse, Dekadenz und Heroismus auf: Dem Lamentieren über den »kulturellen Verfall« folgten stets die Rufe nach einer »nationalen Elite«, die durch verstärkte Selektion und eine Rückbesinnung auf die »eigene Identität« den vermeintlichen Verfall bekämpfe.

Sebastian Friedrich aus Berlin, Herausgeber des im August erscheinenden Sammelbandes »Rassismus in der Leistungsgesellschaft«, näherte sich dem Phänomen Sarrazin mittels einer Diskursanalyse, bei der die wichtigsten Phasen der Debatte des vergangenen Sommers nachgezeichnet wurden. Er konstatierte eine Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts. Die anfängliche Kritik an Sarrazin sei schließlich einer massiven Zustimmung gewichen, bei der unter Verweis auf die Meinungsfreiheit das offene Aussprechen rassistischer Ressentiments eingefordert wurde. »Das Besondere an der Sarrazin-Debatte ist das Zusammenspiel von neoliberaler Verwertungslogik mit der Kontinuität des Rassismus« in Deutschland, sagte Friedrich, der auf die Parallelen zwischen Sarrazin und Guido Westerwelles Lamento über die »spätrömische Dekadenz« der Arbeitslosen verwies.

Der Politologe Richard Gebhardt aus Aachen brachte die Sarrazin-Debatte mit der allgemeinen Krise der politischen Repräsentation in Zusammenhang, die aus einer »Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung« in der Bundesrepublik resultiere. Diese Diskrepanz, die mit dem Auftauchen des »Wutbürgers« einhergehe, biete auch ein Einfallstor für Rechtspopulisten. In Anlehnung an den Soziologen Stuart Hall gelte es aber zu fragen, was an der Ideologie Sarrazins »wahr« im Sinne von »einleuchtend« sei: Deren alltagsideologische Evidenz resultiere insbesondere aus dem nach wie vor auf Blutsbanden beruhenden deutschen Staatsbürgerschaftsrecht (»ius sanguinis«), das ein korrespondierendes Alltagsbewusstsein präge. Die mangelhafte Integration der Migranten in Deutschland erscheine so als Folge ihres kulturell fremden Hintergrunds. Dieses kulturalistisch grundierte Bild »des Anderen« diene Angehörigen des durch ökonomische Krisen verunsicherten Mittelstandes als »idealer Fluchtpunkt«, der zur Stabilisierung »eines prekär gewordenen Selbstbildes gebraucht« werde.

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