- Politik
- Künstlerin Hanna S.
»Trotz Untersuchungshaft arbeitet sie weiter, jeden Tag«
Vier Künstler*innen sprechen über die Arbeiten ihrer Kollegin, der verurteilten Antifaschistin Hanna S.
Wer ist eigentlich in Gruppen aktiv, die sich mit Hanna S. solidarisieren? Und mit wem spreche ich jetzt?
Nick Pschierer: Es gibt verschiedene lokale Gruppen, die sich zunächst aus einem linken Kontext gebildet haben. Seit der Aberkennung des Bundespreises für Kunststudierende gibt es auch neue Zusammenschlüsse – mit Menschen aus der Kulturszene, anderen linken Szenen und Schnittstellen dazwischen.
Leila Orth: Wir sprechen hier als Künstler*innen aus verschiedenen Städten, die sich rund um den Bundeskunstpreis zusammengetan haben. Manche von uns haben den Preis auch erhalten.
Jakob Karpus ist Künstler und Mitglied des »Living Room Collective«, das wie Hanna S. mit dem Bundespreis für Kunststudierende ausgezeichnet wurde. Bubu Mosiashvili lebt in Bremen und ist einer der Preisträger des diesjährigen Bundespreises. Leila Orth studiert an der Kunst- und Medienhochschule in Köln. Nick Pschierer ist wie Hanna S. Student der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg.
Die Vergabe des Preises an Hanna S. wurde nach einer rechten Kampagne ausgesetzt. Wie lief das ab?
Pschierer: Ganz genau lässt es sich nicht nachvollziehen, aber offenbar hatte die AfD Mittelfranken erfahren, dass Hanna den Preis gewonnen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten nur rechte Blogs Wind davon bekommen. Die Partei stellte dann einen Antrag, die Neutralität der Akademie Nürnberg zu überprüfen, da Hanna von dort nominiert worden war. Das führte zu weiteren Medienberichten, und so nahm das Ganze seinen Lauf. Eine endgültige Entscheidung wollen das Bildungsministerium und das Studierendenwerk – das für die Preisvergabe zuständig ist – treffen, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Die Verteidigung wird vermutlich Revision einlegen.
Jakob Karpus: Dadurch, dass der Preis »ruhend gestellt« wurde, wird Hannas Arbeit nicht ausgestellt, der begleitende Text fehlt auch im Katalog. Das ist faktisch bereits eine Aberkennung – sie wird nur anders bezeichnet.
Orth: Das kann eine künstlerische Laufbahn hart treffen. Hannas Ruf und ihre Sichtbarkeit können dadurch massiv beeinträchtigt werden.
Bubu Mosiashvili: Und für die Aberkennung gibt es keine rechtliche Grundlage. Nirgendwo steht, dass eine Verurteilung oder ein laufendes Verfahren ein Preisverbot bedeutet.
Wir wollen uns im Interview auf die künstlerische Arbeit von Hanna S. fokussieren. Wie würden Sie diese beschreiben?
Pschierer: Ihre Arbeit ist tief in politischen Diskursen verwurzelt. Mit künstlerischen Mitteln arbeitet sie gegen die Normalisierung, Verharmlosung und Verheimlichung sozialer Missstände. Es geht ihr um eine Mischung aus künstlerischem Ausdruck und sozialer Relevanz: Wie kann Kunst in Zeiten, in denen Menschen im Mittelmeer ertrinken oder von Polizei und Staat Gewalt erfahren, Bedeutung entfalten? Sie verwendet dafür häufig traditionelle, oft feminisierte Handarbeitstechniken wie Häkeln, Stricken, Knüpfen oder Weben. Somit wird Kunst zur sozial eingebetteten Praxis.
Können Sie Beispiele nennen?
Pschierer: Eine sehr bekannte Arbeit ist ein aus Frauenhaar gewebter Fußabtreter. Sie hat auch Ketten aus gefalteten Gesetzestexten und Printausgaben rechter Zeitungen gefertigt, wobei jedes Glied für eine im Mittelmeer ertrunkene Person steht. Beide Arbeiten waren Teil des Portfolios für den Bundeskunstpreis. Aus ihrer erkennungsdienstlichen Akte hat sie vor der Inhaftierung ein Hemd gestrickt. Im Gefängnis nutzt sie Materialien, die ihr dort zur Verfügung stehen, etwa Zeitungspapier. Daraus fertigte sie Socken für Angehörige von Mitgefangenen. Seit dem vierten Tag ihrer Untersuchungshaft schreibt sie täglich die jeweilige Zahl des Hafttages auf Din-A4-Papier. Jedes Blatt wird vollständig gefüllt, die Blätter werden gestapelt und nach draußen geschickt. Außerdem hat sie im Gefängnis einen Pullover aus der lokalen Tageszeitung gestrickt. Trotz Untersuchungshaft arbeitet sie weiter, jeden Tag.
Orth: Mich hat das Hemd aus Papierwolle emotional sehr berührt, es ist eine Antwort auf ihre institutionalisierte Demütigung. Trotz der extremen Bedingungen bewahrt sie Hoffnung und Autonomie.
Pschierer: Außerdem arbeitet sie im Gefängnis mit Teebeutelfäden, die sie zu einer immer länger werdenden Kette flicht. Eine sehr filigrane Arbeit. Die Farbvariationen und Materialbeschaffenheit sind unglaublich schön. Auch darin ist fremdbestimmte Zeit greifbarer Bestandteil der Arbeit. Besonders beeindruckend ist, dass sie in der Haft alle Techniken im Kopf behalten muss, weil ihr kein Lehrmaterial zur Verfügung steht. Sie arbeitet komplett mit improvisierten Materialien und schafft damit trotzdem unglaublich präzise und konzentrierte Werke.
Gibt es Pläne, der rechten Kampagne mit Hilfe der künstlerischen Arbeiten von Hanna S. etwas entgegenzusetzen?
Orth: Ja, die gibt es. Am 24. Oktober eröffnet im Ausstellungsraum »Flow« in Bonn die Ausstellung »Von Innen« mit Hannas Arbeiten. Sie läuft bis zum 8. November und wird von einem Begleitprogramm von Künstler*innen ergänzt. Wir sehen darin einen Ausdruck gemeinsamer Verantwortung – aber auch die Möglichkeit, ihrer Kunst den Raum zu geben, den sie verdient.
Gab es von der Kunsthochschule Nürnberg, an der sie studiert hat, Solidarität?
Pschierer: Von den Studierenden ja, von der Akademie leider kaum. Die Leitung hat sich darauf zurückgezogen, nur auf Nachfrage den Grundsatz der »Unschuldsvermutung« zu betonen. Studierende organisierten dann eigene Aktionen, Ausstellungen und Redebeiträge.
Wissen Sie, wie Hanna S. mit der Situation umgeht?
Pschierer: Hanna bemüht sich, das, was von ihrer Privatsphäre am Ende der öffentlichen Hetze übrig ist, zu schützen. Lokal und in ganz Deutschland gibt es Rechte, die versuchen, alles, was über sie bekannt wird, gegen sie zu verwenden. In den Verhandlungen blieb sie aber in dieser schrecklichen Situation weiterhin standhaft.
Welche Forderungen stellen Sie an das Bildungsministerium oder das Studierendenwerk?
Mosiashvili: Formelle Forderungen gibt es bislang nicht. Die Kommunikation war völlig intransparent. Wir wurden nicht einbezogen, obwohl wir als Preisträger*innen mitbetroffen sind. Das sagt viel über das Verständnis von Kunst und politischer Verantwortung in diesen Institutionen.
Was ist das für ein Verständnis?
Orth: Hannas Fall ist kein Einzelfall. Seit rund zwei Jahren erleben wir, dass Künstler*innen zunehmend unter Druck geraten, wenn sie Positionen vertreten, die nicht in ein staatlich gewünschtes Meinungsspektrum passen. Das betrifft vor allem Stimmen, die sich solidarisch mit Palästina zeigen oder sich klar antifaschistisch positionieren. Immer häufiger führt das zu Förderabsagen, zur Aberkennung von Stipendien oder zur Ausladung von Ausstellungen. In diesem Kontext verstehen wir auch unsere Ausstellung in Bonn: Sie ist auch ein Akt kollektiven Widerstands gegen zunehmende Repression in der Kunst.
Mosiashvili: Das Problem ist strukturell. Antifaschistische Positionen werden heute kriminalisiert oder zumindest delegitimiert, während man sich im offiziellen Diskurs zugleich gern auf das »Nie wieder« beruft und die Erinnerung an die Vergangenheit pflegt. Diese Gleichzeitigkeit ist hochgradig widersprüchlich und gefährlich: Man feiert den historischen Antifaschismus, aber man verfolgt seine heutigen Vertreter*innen. In den Kulturinstitutionen führt das zu einem Klima der Einschüchterung und zu Selbstzensur.
Ich bin überrascht, dass Sie sich auch solidarisch mit Palästina-Protesten zeigen. Im sogenannten Budapest-Komplex ist dieses Thema nach meiner Beobachtung tabu.
Orth: Wir sollten uns mit allen linken Kräften, die von Repression und Unterdrückung betroffen sind, solidarisieren. Aktuell ist es besonders wichtig, verschiedene Formen von Gewalt zusammenzudenken.
Mosiashvili: Es ist schwer, die Kriminalisierung einer Studentin zu beobachten, die sich entschlossen hat, ihre politische Haltung zu zeigen, ohne an die vielen Fälle von kriminalisierten Studierenden zu denken, die sich solidarisch mit den Menschen in Gaza gezeigt haben – Studierende, die sich entschlossen haben, lautstark gegen den anhaltenden Völkermord und die Mitschuld deutscher Institutionen und Universitäten daran zu protestieren.
Was ist Ihnen noch wichtig zu sagen?
Mosiashvili: Wenn rechte Kampagnen gezielt auf einzelne Künstler*innen zielen, weil sie antifaschistische oder antikoloniale Positionen vertreten, und staatliche oder kulturelle Institutionen daraufhin schweigen oder sich »neutral« verhalten, dann stellen sie sich faktisch auf die Seite der Angreifer. Neutralität ist dann eine Haltung des Wegsehens.
Karpus: Bei einer Veranstaltung wurde ein Satz von Hanna zitiert, der das gut ausdrückt: »Egal ob in der Kunst, in meiner Arbeit oder auf der Straße: Schau hin! Tu was! Mach! Sei laut!« Das fasst zusammen, worum es geht: Solidarität zeigen, handeln.
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