Imperialismus nach der Krise

Direktinvestitionen nehmen wieder zu / Deutsches Kapital hat rund eine Billion im Ausland angelegt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Der weltweite Aufschwung nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch die Auslandsinvestitionen wieder ansteigen lassen.

Westlich der brasilianischen Stadt Rio de Janeiro hat Thyssen-Krupp viel Geld investiert. Das 2010 eingeweihte Stahlwerk, das bei Behörden und Anwohnern aus Umweltgründen in der Kritik steht, soll fünf Millionen Tonnen Stahl im Jahr produzieren. Siemens eröffnete im Juli im russischen Woronesch eine Fabrik für Hochspannungsschalter, und in Saudi-Arabien wird mit Lizenz der Firma Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar eine Gewehrfabrik errichtet. Kapital aus Deutschland spielt weltweit eine immer größere Rolle. Allein im vergangenen Jahr wurden 105 Milliarden Dollar im Ausland direkt angelegt und noch in diesem Jahr dürfte die Summe der deutschen Direktinvestitionen die Billionen-Hürde überspringen.

Doch nicht überall läuft der Kapitalexport auf Hochtouren. Im vergangenen Jahr wurde der Rekord von 2007 bei Weitem nicht erreicht. Die Auslandsdirektinvestitionen (FDI) legten gegenüber dem Vorjahr moderat um fünf Prozent zu, heißt es im »World Investment Report« der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), der am Dienstag veröffentlicht wurde. Dennoch nimmt die internationale Arbeitsteilung massiv zu – aber weniger in Form »harter« Kapitalbeteiligungen, die in die FDI-Berechnung einfließen. Berücksichtigt man Wechselkursänderungen zwischen Dollar, Yen und Euro sowie schwankende Börsenkurse von Aktien und Wertpapieren, so sind Auslandsinvestitionen vielerorts so beliebt wie nie.

So kletterte Deutschland dank eines Anstieges um gut ein Drittel gegenüber 2009 auf Rang zwei. Ganz vorne stehen die USA: Obwohl deren Wirtschaft immer noch stark unter den Nachwehen der Krise und der hohen Staatsverschuldung leidet, stiegen die FDI der Vereinigten Staaten von 283 Milliarden auf 329 Milliarden Dollar. Deutlich zulegen konnten auch die Schweiz (auf 58 Milliarden Dollar), Russland (52 Milliarden) und Belgien (38 Milliarden). In den beiden letztgenannten Staaten dürfte aber manche Auslandsinvestition eher Kapitalflucht vor politisch unsicheren Verhältnissen sein. Dagegen verloren Frankreich (84 Milliarden) und Japan (56 Milliarden) mit jeweils minus 20 Prozent als Geberländer an Bedeutung.

Es fällt auf, dass Großbritannien, obwohl in London immer noch einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt beheimatet ist, selbst keine Hauptrolle mehr spielt: Das alte Empire landete nicht mal mehr unter den Top 20 der Kapitalexporteure. Der Abschied der einstigen Kolonialmacht von der Weltbühne scheint endgültig zu sein. Schließlich wurde die Insel in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem Dienstleistungszentrum ohne hauseigene industrielle Interessen umgebaut. Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich, deren gemischte Wirtschaften mit Exportorientierung sich zumindest in dieser Krise bewährt haben, auch hinsichtlich des Erhalts von Arbeitsplätzen.

Einen Boom erleben derzeit Ackerland-Geschäfte. Während vor 2008 nach Berechnungen der Weltbank pro Jahr durchschnittlich 4 Millionen Hektar Ackerland verkauft wurden, waren es 2008, als die Preise vieler Grundnahrungsmittel hoch gingen, schon 56 Millionen Hektar, überwiegend in Afrika (und neuerdings in Brasilien).

Ausländische Direktinvestoren sind zunehmend Staatsfonds aus den Ölstaaten und aus China. Das Riesenreich mit sozialistischen Wurzeln ist erst seit Kurzem ein Akteur im Spiel des Imperialismus. China steigerte seine Auslandsdirektinvestitionen von 57 Milliarden auf 68 Milliarden Euro – und liegt damit schon auf Rang vier. Rechnet man die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong hinzu – der Stadtstaat war bezeichnenderweise vom Verlierer Großbritannien 1997 übergeben worden – ist China heute bereits der zweitgrößte Kapitalexporteur weltweit.

Lexikon

Foreign Direct Investments (Direktinvestitionen in andere Länder, kurz FDI) haben viele Gesichter. Es kann der Bau einer Chipfabrik in China sein, der Kauf eines Bürogebäudes in Paris oder die Übernahme des US-Automobilkonzerns Chrysler durch Fiat. Es genügt aber auch, Kapitalanteile von wenigstens zehn Prozent an einem Unternehmen im Ausland zu kaufen, um etwa bei der Deutschen Bundesbank meldepflichtig zu werden. Die UNCTAD beobachtet indes eine Abkehr von »harten« Kapitalbeteiligungen hin zur Vergabe von Lizenzen, Kontraktfertigungen in Billiglohnländern oder der Ausweitung von Franchising-Modellen wie bei McDonald's – dabei gehört die Niederlassung des US-Konzerns einem örtlichen Unternehmer. hape

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