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Regierung will Ärzte auf dem Land fördern

Wohnortnahe medizinische Betreuung soll gesichert werden

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.
Das vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz soll vor allem die wohnortnahe, flächendeckende medizinische Versorgung sichern, betonte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Mittwoch in Berlin.

In unterversorgten Gebieten, die vor allem in ländlichen Regionen liegen, sollen Ärzte künftig von Maßnahmen ausgenommen werden, die bisher ihre Budgets begrenzten und sie bei Überschreitungen in Regress nahmen. Nun können Ärzte sogar für besonders förderungswürdige Leistungen Preiszuschläge erhalten. Die konkrete Umsetzung ist allerdings Verhandlungssache zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen.

Auf jeden Fall soll für die Hausärzte mit einem großen Einzugsbereich und vielen älteren, mehrfach erkrankten Patienten eine bessere Vergütung erreicht werden. Zudem soll es in Zukunft möglich sein, dass Ärzte in einer Stadt wohnen, ihre Praxis aber in einem anderen Ort eröffnen können.

Die Frage bleibt jedoch, ob diese Anreize genügen, junge Ärzte in die Dörfer zu holen. Verschiedene Facharztverbände und auch die Hausärzte sehen seit Jahren ihr eigenes Durchschnittsalter steigen und debattieren auf Kongressen, wie sie den Nachwuchs für die Zunft sichern können. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) gehen in den nächsten fünf Jahren 40 000 Ärzte in den Ruhestand, andere Experten schätzen hingegen, dass in den nächsten Jahrzehnten 20 000 Mediziner fehlen werden.

»Niedergelassener Arzt oder gar Facharzt – lohnt sich das noch?« Solche Themen sind häufig in Tagungsprogrammen zu finden. Dabei werden durchaus betriebswirtschaftliche Rechnungen aufgestellt. Der Idealist, der Menschen helfen will, möchte andererseits bestmögliche Bedingungen dafür. Mehr Offenheit für mobile Versorgungskonzepte, mehr Möglichkeiten zur Delegation etwa an die berühmte Gemeindeschwester, flexiblere Regelungen für die Vertretung – all dies kann sicher einiges an Druck abfangen. Aber es bleiben schon heute 550 Arztsitze, die dringend besetzt werden müssten, errechnet die KBV.

Insbesondere bei der Finanzierung der Gesetzesmaßnahmen zeigen sich etliche Widerhaken: Zwar verwies Minister Bahr in Berlin stolz darauf, dass er das Gesetz ohne jede Kanzlerinnen-Hilfe und ohne Änderung durch das Kabinett gebracht hat. Offenbar war aber die Verpflichtung zur Evaluation im Jahr 2014 ein notwendiges Zugeständnis für die Zustimmung von Finanzminister Schäuble (CDU), der Bedenken gegenüber versteckten höheren Kosten hat. Der gewählte Zeitpunkt zur Überprüfung der Gesetzeswirkung spricht auch nicht von allzuviel Zuversicht auf schnelle Erfolge. Bahr geht mit Gesamtkosten von 200 Millionen Euro hausieren, gesteht im nächsten Atemzug aber ein, dass 120 Millionen Euro für die Zahnärzte hinzukämen. Im Übrigen zieht er sich auf die Position zurück, dass alles ja Verhandlungssache sei, und kritisiert die Krankenkassen, die wohl ihrem Geschick nicht trauten, wenn sie vor überzogenen Ausgaben warnen. Wenn jedoch allein Rheinland-Pfalz Landärzte mit 400 000 Euro jährlich fördern will, unter anderem mit der Übernahmen von Einrichtungskosten für Zweigpraxen, bleibt die Frage, was die 200 Millionen Euro von Minister Bahr für das gesamte Gesetzespaket dann bundesweit ausrichten sollen und können.

Ein anderer Kritikpunkt, der sich ebenfalls um die Finanzierung dreht, ist das Fehlen von Maßnahmen, die eine bestehende Überversorgung in besonders wohlhabenden Gebieten einschränken könnten. Abschläge bei den Honoraren, so Minister Bahr in Berlin, seien seit längerem in der Diskussion, aber politisch nicht durchsetzbar. So eröffnete das neue Regelwerk den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) neuen Spielraum bei der Verteilung von Arztsitzen. Nun kann auch der freiwillige Verzicht auf die Zulassung finanziell gefördert werden. Das ist dringend notwendig, da niedergelassene Ärzte in der Regel den Praxisverkauf in ihre Alterssicherung einkalkuliert haben. Ein Vorkaufsrecht der KV kann erst dann greifen, wenn zuvor alle anderen Interessierten zum Zug kamen: Kinder, Ehegatten, Lebenspartner oder bisherige ärztliche Praxispartner. Hier ist absehbar, dass auf diesem Wege kaum potenzielle Landärzte zu gewinnen sind. Honorarzuschläge brachten schon in den vergangenen Jahren keine neuen Ärzte in unterversorgte Regionen, hingegen einen Überhang von 25 000 Arztstellen in Ballungsgebieten, wie der Landesverband Mitte der Betriebskrankenkassen resümiert.

Zustimmung findet das Gesetz denn auch vor allem bei den Ärzten. Für sie gibt es kaum neue Verpflichtungen, aber deutlich mehr Möglichkeiten, etwa in der ambulanten Rehabilitation, bei der Versorgung von HIV/Aids, Krebs, Multipler Sklerose oder anderen schweren oder seltenen Erkrankungen. Die gesetzlich Versicherten dürfen mit Bangen die Höhe ihrer künftigen Zusatzbeiträge erwarten, in die auch jene Kosten eingerechnet werden, die über Bahrs versprochene 200 Millionen hinausgehen. So kritisiert der Sozialverband Volkssolidarität, dass die Kosten einseitig auf die gesetzlich Versicherten abgewälzt werden.

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