Wie man ein Terrorismus-Experte wird

MEDIENgedanken: Deutsche Journalisten und die Anschläge in Oslo

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch gibt es den Beruf des Terrorismus-Experten nicht. Es gibt dafür noch keinen Bachelor-Studiengang, aber vielleicht findet sich ja bald eine kleine und mit Steuermitteln finanzierte Privatuniversität, die so was anbietet. Bis dahin bleibt das Werden des gewöhnlichen Terrorismus-Experten quasi ungeregelt, wildwüchsig, spontan. Ein hervorragendes Beispiel für diese spontane Herausbildung des Experten, bei dem sich sozusagen quantensprungmäßig alle zugänglichen Informationen plötzlich zu einem Lichtblitz der Erkenntnis verdichten, ist Manfred Schermer von der »Fuldaer Zeitung«. So wusste der Journalist in seinem Kommentar zu den Anschlägen in Oslo schon am Abend des 22. Juli, als eigentlich noch gar nichts klar war, dass »vieles auf einen islamistischen Hintergrund« hindeutet. Von Herrn Schermer können wir also einiges lernen in Sachen Expertentum, aber damit wollen wir uns nicht begnügen. Weil Experten ja praktisch immer irgendwo gebraucht werden, anbei ein kleines Brevier für angehende Terrorismus-Experten zum Selbst- und Fernstudium, bis der Bachelor-Studiengang eingerichtet ist.

Regel 1 des Terrorismus-Experten: Als Wald-, Feld- und Wiesen-Redakteur gucken wir den ganzen Tag über in den Bildschirm und lesen dpa-Meldungen, außerdem haben wir die Abschlussarbeit an der Uni über die Bewässerungstechnik in der Zeit der Karolinger geschrieben – wir wissen also auch nicht mehr als alle anderen dpa-Meldungs-Leser. Deshalb der erste Schritt zum Terrorismus-Experten: Wir stecken unser Experten-Näschen in den Wind und prüfen, woher dieser zur Zeit weht. Also wie sich so die politische Großwettermeinungslage in den Leitmedien darstellt.

Regel 2a: Handelt es sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit nicht um ein Attentat von Al Qaida, ist von einem Einzeltäter auszugehen. Anschläge aus dem rechten Spektrum sind immer Einzelgänger ohne Verbindung zu rechtsradikalen oder neonazistischen Kreisen, sofern diese überhaupt existieren. Zum Beispiel am Abend des 26. September 1980: An der Nordseite der Münchner Theresienwiese nahe dem Haupteingang zum Festareal kam es gegen 22.20 Uhr zu einer gewaltigen Explosion. In einem metallenen Abfallkorb, der an einem Verkehrsschild festgemacht war, war eine Bombe explodiert. Die Folgen waren verheerend. Als die Rettungskräfte eintrafen, fanden sie in einem Umfeld von bis zu 23 Metern Tote und Verletzte auf der Straße liegen. 13 Menschen starben bereits am Tatort oder später in den Krankenhäusern, 211 Menschen wurden verletzt, 68 davon schwer. Der Bombenleger Gundolf Köhler wurde als Einzeltäter angesehen, der aus Frustration und Hass auf seine Umwelt die Bombe zündete.

Regel 2b: Kommen die Anschläge nicht aus dem rechten Lager, handelt es sich immer um ein »terroristisches Netzwerk«, will heißen Al Qaida. Das »Terrornetzwerk« ist für den angehenden Terrorismus-Experten quasi eine Gottesgabe – da niemand genau weiß, was eigentlich hinter dem Namen steckt, lässt sich auch noch die abstruseste Behauptung weder verifizieren noch falsifizieren. Weil es mittlerweile ja praktisch überall Muslime gibt, könnte es auch überall Al Qaida geben, von Oslo bis Osnabrück.

Regel 3: Fragen nach Verwicklung von Geheimdiensten bei Al-Kaida-Anschlägen oder Anschlägen aus dem rechten Lager sind tunlichst zu vermeiden.

Regel 4a: Bei Anschlägen aus dem rechten Lager sind die Täter immer Verwirrte, Psychopathen, Bestien oder Irre. Zudem wechselt die Sprachregelung von »Terrorist« zu »Amokläufer«.

Regel 4b: Anschläge von Al Qaida sind immer ausführlich geplant, eiskalt ausgeführt, wohlüberlegt, gnadenlos.

Regel 4c: Anschläge von Al Qaida sind immer »feige« (»feiges Terrorpack« – Terrorismusexperte Schermer).

Regel 5: Egal ob die Anschläge von Al Qaida oder von Rechts kommen, in Deutschland ist danach immer eine Verschärfung der Überwachung, der Datenspeicherung, der Gesetze und eine Aufrüstung der Polizei zu fordern.

Befolgt man diese kleine Anleitung, stehen dem künftigen Terrorismus-Experten alle Türen offen: Von den Zeitungsspalten bis zu den Talksshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Gibt es mal längere Zeit keine Anschläge, so kann der Terrorismus-Experte aufbauend auf seinen bisher erworbenen Kenntnissen sich leicht ein zweites Standbein als Schweine-Vogel-Hühnergrippe-Rinderwahnsinn-Experte zulegen. Euro-Experte geht derzeit auch.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in München.

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