Atomare Doppeldeutigkeit

Gastkolumne von Lucas Wirl

  • Lesedauer: 3 Min.

»Angenommen, es gibt US-Atomwaffen in Büchel.« Unter dieser Prämisse wurde am 14. Juli – gut drei Wochen vor dem 66. Jahrestag der Atomabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki – eine Klage gegen die Bundesregierung eingereicht, die den Abzug der rund 20 Atomwaffen aus Deutschland juristisch einfordert. Die Klage wurde eine Woche später abgewiesen, mit der Begründung die Klägerin besitze kein Recht, gegen die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik zu klagen. Die Politik habe einen breiten Handlungsspielraum. Das Grundgesetz spielte wieder einmal keine Rolle. Die hypothetische Annahme »Es gibt US-Atomwaffen in Büchel« wurde von der Verteidigung der Bundesregierung weder dementiert noch bestätigt.

In der Logik der nuklearen Abschreckung des kalten Kriegs nennt man die Taktik nichts zuzugeben, aber auch nichts zu dementieren »Ambiguity« – Zwiedeutigkeit. Durch Doppeldeutigkeit wurde in der Perversion des Gleichgewichts des Schreckens versucht, die eigene Zweitschlagsfähigkeit zu verstecken, sodass der, der zuerst schießt, als zweiter stirbt – kollektiver Genozid.

Verdrängt wurden in dieser Logik die schrecklichen Bilder, das Leid, die hunderttausenden Toten aus Hiroshima und Nagasaki, die die Welt seit 66 Jahren berühren, erschrecken, zum Nachdenken bringen über den Wahnsinn Atomwaffe. Der menschliche Super-GAU scheint sich bei den politisch Verantwortlichen nicht nachhaltig eingebrannt zu haben.

Die zweideutige Logik des Kalten Kriegs bestimmt weiterhin das Handeln aller Atomwaffenmächte. Die NATO besteht auf der nuklearen Teilhabe und Abschreckung. Der neue START-Vertrag ist in Wahrheit kein Abrüstungsvertrag, sondern bestenfalls ein Rüstungskontrollabkommen, das sogar limitierte Aufrüstung beinhalten kann. Die Modernisierung der Atomwaffen wird eine Welt ohne Atomwaffen zumindest weiter hinauszögern; 44 Staaten haben die technologischen Voraussetzungen zum Bau der Atombombe. Zig Milliarden werden für die Verbesserung der genoziden Waffen bereitgestellt. Auch die »deutschen« Atomwaffen können für die nächsten 40 Jahre präziser ihr Ziel treffen. Die deutsche Bundesregierung – trotz klaren Bundestagsbeschlusses und deutlicher Position im Koalitionsvertrag, sich für einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen – gibt nicht einmal zu, dass Atomwaffen auf deutschem Boden – und zwar in Büchel – stationiert sind.

Eine Vision, einmal ausgesprochen, reicht nicht aus, um die Logik der Ambiguität der Atomwaffen zu überwinden und Atomwaffen von unserer Erde zu verbannen. Deshalb sind konkrete Taten erforderlich, kulminierend in ein umfassendes Vertragswerk zur unwiederbringlichen Vernichtung von Atomwaffen: eine Nuklearwaffenkonvention. Nur so können weitere Hiroshimas und Nagasakis verhindert werden. Als erster Schritt muss die Modernisierung gestoppt werden. Abrüstung erreicht man nie durch Aufrüstung. Menschen müssen sich aktiv zu einer Welt ohne Atomwaffen bekennen, müssen dafür eintreten.

Hiroshima und Nagasaki mahnen, nie nachzulassen im Ringen um die Abschaffung aller Atomwaffen und immer wieder an deren Gefahren zu erinnern – für uns, unsere Kinder und Enkel sowie den blauen Planeten Erde.

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