Ohne Garantie

Der Nichtwähler hat letzten Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern 587 603 Mal nichts angekreuzt

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 2 Min.

Gestatten, Nichtwähler mein Name. Ich stelle mich hier lieber selbst vor. Wird ja viel Unsinn erzählt über unsereinen – trotz der ganzen Forscherei. Oder vielleicht deswegen? Jedenfalls bin ich ein echter Nichtwähler. Die unechten zählen hier nicht, die machen höchstens fünf Prozent aus, weil sie ihre Briefwahl verpennt haben oder als Tote noch im Wahlverzeichnis standen.

Nein, ich bin ein echter Nichtwähler, ein Überzeugungstäter, Parteienverächter, Systemzweifler und Demokratiemüder. Die können mich mal alle, ich war am Wahlsonntag angeln. Mit meinem Kumpel, der wollte eigentlich noch hingehen, aber dann hat er beschlossen, seiner Partei mal einen richtigen Denkzettel zu verpassen. Hat ja auch geklappt. Sind rausgeflogen. Aber wie ich mit der ganzen Miesepetrigkeit, die mir zu Verfügung stand, fast die 50-Prozent-Wahlbeteiligungsmarke in Mecklenburg-Vorpommern geknackt habe, das war doch gigantisch, oder? Mehr Desinteresse kann ich höchstens bei Europawahlen generieren. Es war aber auch ein Wahlzettelkuddelmuddel hier oben im Gesundheitsland, wo der nächste Hausarzt fünf Dörfer weiter praktiziert. Was sollten wir nicht alles ankreuzen: Die Parteien für den Landtag, Erst- und Zweitstimme, drei Stimmen für den Kreistag, der Name für den Landkreis, der Name für den Landrat, ja mancherorts auch noch die Bürgermeister. Da kommt man ja durcheinander. Zum Glück bin ich noch zu jung, einen Herzinfarkt fürchten zu müssen – allerdings bin ich männlichen Geschlechts, da hast du auch wieder keine guten Karten. Kriegst keinen Job oder einen schlecht bezahlten oder einen weit weg im Westen. Da sitzt du dann und kannst dir trotz Arbeit keine Wohnung leisten. Da bin ich wieder zurück auf mein Dorf. Interessiert aber keinen. Mindestlöhne fordern zwar außer einer Partei alle, aber immer nur vor der Wahl. Danach bleibt alles wie gehabt, insbesondere hier oben, wo die Uhren langsamer ticken und in diesem Sommer außer dem Regen und dem Sellering keiner länger bleiben wollte.

Ehe sich hier was ändert, müsste sich erst mal in Berlin was ändern, sagt meine Freundin. Vielleicht hat sie recht, und ich gehe nächstes Jahr dann mal zur Bundestagswahl. Kann ich aber nicht für garantieren.

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