Getauschte Rollen

Kommentar von Uwe Sattler

  • Lesedauer: 2 Min.

Die Zeiten ändern sich. Jahrzehntelang stand die Türkei als Bittsteller vor den Toren EU-Europas. Bereits 1959 hatte sich Ankara um Aufnahme in die damalige EWG bemüht; seit sechs Jahren laufen Beitrittsgespräche mit Brüssel – ohne absehbares Ende. Mal waren es die von der EU monierten Menschenrechte in den Kurdengebieten, mal der Boykott zyprischer Schiffe in Nordzypern, die die Verhandlungen blockierten.

Allerdings diktiert inzwischen Ankara die Bedingungen. Waren die Forderungen nach besseren Integrationschancen der Türken in Europa noch vor Jahresfrist von der EU weitgehend als lächerlich abgetan worden, werden die erneuerten Aufrufe durch den türkischen Präsidenten nun gehört – nicht nur, weil sie Gül im gemäßigten Tonfall vorbrachte. Mit einem Wirtschaftswachstum von fast zwölf Prozent im ersten Quartal schlägt die Türkei die EU-Staaten um Längen; in den nordafrikanischen Umbruchstaaten hat Ankara ebenso Pflöcke gesetzt wie in Nahost. Wirtschafts- und außenpolitisch kommt die EU an Ankara nicht mehr vorbei.

Dass dies zu einer schnelleren Annäherung zwischen EU und der Türkei führen wird, ist jedoch zweifelhaft. Das Erstarken der Regionalmacht am Bosporus dürfte die Ängste vor einer »Islamisierung Europas«, insbesondere in Frankreich und Deutschland, noch verstärken. Denn diese stehen hinter der Auseinandersetzung um nicht erfüllte Aufnahmekriterien und Beitrittsparagrafen.

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