Die fiktive Welt der Florianis

Ingeborg Bachmann und »Die Radiofamilie« – vielleicht die Sehnsucht nach einem kleinen Glück

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Der »Mythos Bachmann« hält uns nach wie vor in Atem. Aber mehr als alles Sekundäre sind es die längst bekannten Werke Ingeborg Bachmanns, die uns immer wieder atemlos machen: »... durch dieses Heute kann ich nur in höchster Angst und fliegender Eile kommen«, so reißt uns »Malina« hinein in den Text. Oder wir bedenken das bittere Ende der Dichterin, die von ihr im Vers vorweggenommene »gestundete Zeit«. »Eine Handvoll Schmerz verliert sich über den Hügel ...«

Es nimmt also nicht Wunder, dass die jüngsten, bis dahin unter Verschluss gehaltenen oder lange vergessenen Texte alle mit einem breiten Kommentarteil intensiver Bezüge zum Gesamt-Werk versehen worden sind: »Herzzeit«, der Briefwechsel Ingeborg Bachmanns mit Paul Celan (2008), das »Kriegstagebuch mit Briefen von Jack Hamesh« (2010) und nun auch die fünfzehn Hörspieltexte der »Radiofamilie«. Diese haben zwar nichts vom Beigeschmack des Voyeurismus, den man angesichts der intimen Briefe Bachmann-Celan nicht los wird, aber die Verfasserin hat sie später nie mehr erwähnt, hat sie sozusagen aus ihrem Werk gestrichen. »Zu dem von ihr erstrebten Profil einer seriösen Dichterin«, schreibt Herausgeber Joseph McVeigh, »passten sie nicht mehr so recht«, und sie weichen »tatsächlich in Form, Sprache und Ton signifikant vom übrigen Werk ab«.

»Die Radiofamilie Floriani« war die beliebteste Sendung der Nachkriegszeit in Österreich. Zuerst vierzehntägig, dann wöchentlich, zur besten Sendezeit ausgestrahlt, war sie nach dem Krieg vom amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot nach US-amerikanischem Muster als erzieherische Unterhaltungssendung unter dem Aspekt »positiver Beschäftigung mit dem bürgerlichen Alltagsleben« initiiert worden. Die junge Ingeborg Bachmann, die gerade promoviert hatte, arbeitete von Februar 1952 bis Juli 1953 im Script-Department des Senders. Sie verfasste zahlreiche Texte für »Die Florianis« und prägte die Serie dadurch stark mit. Diese Arbeit war für die »kettenrauchende Meerjungfrau mit dem Engelhaar«, wie sie ihre Kollegen beschrieben, in erster Linie ein notwendiger Broterwerb. Aber die Texte enthalten mehr, als man bisher annahm, von eigenen Wünschen und Vorstellungen der Verfasserin.

Immerhin: Es ist genau die Zeit ihres literarischen Durchbruchs. Sie schreibt hier auch ihr frühestes bekanntes Hörspiel »Ein Geschäft mit Träumen«, sie liest in Niendorf erstmals in der Gruppe 47, wo sie Paul Celan trifft, der zu dieser Zeit heiratet, und sie lernt Hans Werner Henze kennen, zu dem sie bald nach Italien ziehen wird. All das hat selbstverständlich die Radioarbeit beeinflusst.

Worum geht es in der Serie? »Die Florianis« sind eine gutbürgerliche Kleinfamilie. Oberlandesgerichtsrat Hans Floriani mit schmalem Gehalt ist fleißig und korrekt. Seine Frau Vilma hat der Familie wegen ihres Kunststudiums abgebrochen, zeigt dafür aber umso mehr Familiensinn. Die sechzehnjährige Tochter Helli ist ein richtiger Teenager, Sohn Wolferl mit zwölf noch nicht Fisch und nicht Fleisch. Dazu ein paar mehr oder weniger wichtige Personen, wie Onkel Guido, früher ein kleiner Nazi und nun arbeitslos. Er erfindet ständig die verrücktesten Dinge, lebt von der Hühnerfarm seiner praktischen Frau Liesl und ein bisschen vom Geld, das ihm Bruder Hans manchmal zukommen lässt. Der neureiche »Export- Import«-Unternehmer Mitterbacher ist Gegenbild zum soliden Hans Floriani. Im kleinen Rahmen bürgerlicher Ordnung spielt sich das Leben ab. Fragen der Kindererziehung, der Schulbildung, der Toleranz, des Konsums, der Kunst und Kultur werden abgemildert kritisch zur Sprache gebracht. Distanziert und amüsiert liest man's als eine Art Zeitdokument, so wie man ein altes Fotoalbum anschaut.

Aber halt, da ist doch mehr von der zukünftigen Dichterin zu finden! Der Herausgeber hilft dem etwas ratlosen Leser. Er sieht in den Texten einerseits eine Persiflage auf das bürgerliche Wien, andererseits auch die Fiktion eines erträumten kleinen Glücks, das der Dichterin ins Wanken gerät und ihr lebenslang nie vergönnt sein wird. So lesen wir neu: »Eine Handvoll Schmerz« wird hier zum Ausdruck unerfüllter Sehnsucht nach einem Familienglück, ein Wunschtraum, einmal im Leben nicht getrieben, sondern angstfrei leben und atmen zu können.

Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Joseph McVeigh. Suhrkamp Verlag. 413 S., geb., 24,90 €.
Mythos Bachmann. Zwischen Inszenierung und Selbstinszenierung. Paul Zsolnay Verlag. 316 S., brosch., 19,90 €.

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