Psychologin kommt, Chirurg bleibt?

Dänische Wissenschaftler untersuchten geschlechtsspezifische Unterschiede in der Ärzteschaft

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Studie des dänischen Ärztebundes untersuchte die Folgen des massiven Einzugs von Frauen in einen traditionell von Männern dominierten und prestigeträchtigen Arztberuf.

Etwa 11 800 männliche und 9000 weibliche Ärzte praktizieren zur zeit in Dänemark. Betrachtet man die Geschlechterverhältnisse unter den Medizinstudenten, muss man zu dem Schluss kommen, dass sich das demnächst ändern wird. Seit 1984 beginnen in Dänemark mehr junge Frauen als Männer ein Medizinstudium. Aktuell sind es sogar zwei Drittel Studentinnen.

Wie wird diese Entwicklung den Beruf und das Gesundheitswesen insgesamt beeinflussen, fragte sich eine Gruppe von Wissenschaftlern und präsentierte unlängst in der Wochenzeitschrift des dänischen Ärztebundes die Ergebnisse der Studie. Sie untersuchte auch die Vorbehalte: etwa, dass Ärztinnen sich mehr für lange, einfühlsame Patientengespräche interessieren als für medizinische Behandlungen nach neuestem wissenschaftlichen Standard.

Die Studie zeigt nun, dass Medizinstudentinnen tatsächlich eher Spezialisierungen wählen, in denen sie Patientenkontakt haben werden. Ihre männlichen Kollegen streben eher eine krankheitsbezogene Tätigkeit an. Überspitzt gefolgert: Es könnte in Zukunft also vor allem Psychologinnen geben, während die Chirurgie weiter in männlicher Hand bliebe. Die Studie fand allerdings auch heraus, dass diese Wahl nicht ausschließlich geschlechtsspezifisch ist. Sie hängt auch mit Arbeitszeiten rund um die Uhr zusammen, wird also von sozialen Faktoren bestimmt. Junge Ärztinnen wünschen sich neben ihrem Beruf auch Zeit für die Familie, dies ermöglichen die Strukturen im Gesundheitsweisen jedoch kaum. Während Krankenhausleitungen und ältere Kollegen es selten als Problem ansehen, wenn Ärztinnen auf Grund von Kinderbetreuung oder kürzerer Arbeitszeit später mit ihrer Spezialausbildung fertig werden, begegnen sie dem gleichen Wunsch bei ihren männlichen Kollegen mit Unverständnis und Kopfschütteln. Ein herabgesetzter Arbeitsumfang ist der Karriere nicht eben förderlich.

Ein weiterer Einwand gegen den Vormarsch der Frauen im Arztfach ist die Befürchtung, die Gehälter könnten sinken. Erfahrungen aus den USA und Schweden legen dies nahe. In Dänemark scheint sich das der Untersuchung zufolge aber nicht zu bestätigen. Hier bekommen jüngere Ärzte beiden Geschlechts tendenziell geringere Gehälter als vor zehn Jahren. Männliche Ärzte machen dies in der Regel durch eine größere Anzahl von Überstunden wett.

Den Hauptgrund für sinkende Gehälter machten die Autoren im Wettbewerb der Fachgruppen untereinander aus. Insbesondere Krankenschwestern mit hoher Spezialisierung haben in den letzten Jahren sowohl in der Ausbildung als auch im Prestige Boden gutgemacht und sicherten sich nicht mehr nur fachliche Verantwortung, sondern auch einen größeren Anteil am Lohnkuchen. Sinkende Gehälter sind also ebenfalls nicht geschlechterspezifisch, sondern gesellschaftlich bedingt.

Nicht zuletzt weist die Studie auf umfangreiche Untersuchungen über die Unterschiede im Herangehen von Ärztinnen und Ärzten bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten hin. Der Vorwurf, dass Frauen lange Gespräche bevorzugen, statt auf wissenschaftliche Evidenz zurückgreifen, wenn es um die Definition des Problems geht, wird klar zurückgewiesen. Auch sie bevorzugen eine faktenbezogene Grundlage, um eine Diagnose zu stellen. Oft erwähnte bestimmte »weibliche Werte« oder »weibliche Herangehensweisen« bei der Lösung medizinischer Fachfragen seien Mythen.

Letztlich gelangt die Studie zu dem Schluss, dass nicht das Geschlecht für die weitere Entwicklung entscheidend ist, sondern die gesellschaftlichen Strukturen. Sie entscheiden darüber, welche fachliche Richtung Medizinstudierende eingeschlagen und wie ihre Karriere verläuft.

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