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  • Tagesthema: Welternährung

Keine Rücksicht auf die Hungernden

Roman Herre über das Recht auf Nahrung

  • Lesedauer: 4 Min.
Die aktuelle Hungersnot in Ostafrika ist nur der sichtbarste Ausdruck der globalen Hungerproblematik. Starke Schwankungen der Lebensmittelpreise verschärfen laut den Vereinten Nationen den Hunger in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika. 2010 waren weltweit 925 Millionen Menschen unterernährt, 75 Millionen mehr als 2008. Am 16. Oktober wird seit 1979 der Welternährungstag begangen.
Roman Herre ist Diplom-Geograph und seit 2007 Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions- Netzwerk). Seine Arbeitsschwerpunkte dort sind Landkonflikte, Agrartreibstoffe und Ländliche Entwicklung. Mit ihm sprach für ND Martin Ling.
Roman Herre ist Diplom-Geograph und seit 2007 Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions- Netzwerk). Seine Arbeitsschwerpunkte dort sind Landkonflikte, Agrartreibstoffe und Ländliche Entwicklung. Mit ihm sprach für ND Martin Ling.

ND: Das Menschenrecht auf Nahrung ist seit 1976 bei der UNO durch den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte offiziell verankert. Trotzdem hungern aktuell rund eine Milliarde Menschen. Nimmt die UNO und ihre Mitgliedstaaten den Kampf gegen den Hunger nicht ernst?
Herre: Innerhalb der UNO mit ihrem Menschenrechtssystem wird die Frage sehr ernst genommen. Aber es gibt andere globale Akteure, beispielsweise die Weltbank, den Internationalen Weltwährungsfonds, die Welthandelsorganisation sowie die Staatenclubs G 8 und G 20, die sehr viel mächtiger sind und die Empfehlungen des UN-Menschrechtssystems kaum oder gar nicht umsetzen. Global überlagern sich verschiedene Rechtssysteme: auf der einen Seite das Menschenrechtssystem und auf der anderen Seite Investitions- und Handelsrecht. Letztere haben Sanktionierungsmechanismen, die sehr viel Druck ausüben können. Sie sind de facto sehr viel mächtiger als das UN-Menschenrechtssystem. Deswegen arbeiten wir daran, dass das Menschenrechtssystem fit gemacht wird für die Globalisierung. Beispielsweise müssen Personen bei Menschenrechtsverletzungen konkrete Beschwerdemöglichkeiten eingeräumt werden.

Die meisten der Hungernden leben auf dem Land. Nichtsdestotrotz wurde die ländliche Entwicklung in den letzten 20 Jahren sowohl seitens der Regierungen im Süden selbst als auch in der Entwicklungszusammenarbeit seitens des Nordens stark vernachlässigt. Hat sich das seit den Hungerrevolten 2008 geändert?
Es gibt einen Ansatz zu einer Trendwende. Aber der ist noch minimal. Die aktuellen Zahlen sprechen bei der Entwicklungszusammenarbeit von einem leichten Wachstum von 3,8 Prozent 2007 auf ungefähr 5 Prozent 2010. Doch 1980 flossen noch über 20 Prozent in die ländliche Entwicklung. Und darüber hinaus muss man darauf achten, wie dieses zusätzliche Geld investiert wird. Die Weltbank beispielsweise hatte vor anderthalb Jahren gesagt, dass sie vier Milliarden US-Dollar ins Agrobusiness pumpen will. Davon haben die Kleinbauern nichts. Bei der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wird stark auf die Kooperation mit der Privatwirtschaft gesetzt - auch im Landwirtschaftsbereich. Da sind wir skeptisch, ob damit ein Beitrag zur Hungerbekämpfung geleistet wird. Ein Rechte basierter Ansatz wird in der Entwicklungszusammenarbeit kaum verfolgt. Auch im Süden sieht es nicht rosig aus. Zwar haben sich die afrikanischen Länder selbst verpflichtet, zehn Prozent des Haushalts in die ländliche Entwicklung zu stecken. Doch das haben bisher nur acht bis neun Staaten umgesetzt.

Die Ernährungssicherheit wird in jüngster Zeit durch das Phänomen des Land Grabbings, des Aufkaufs von Agrarland im Süden durch Investoren aus Industrie- und Schwellenländern, weiter untergraben. Steuert die Politik dagegen?
Kaum. Ein Großteil der Akteure in diesem Kontext kommt aus den G 20, den traditionellen Industrieländern und den aufstrebenden Schwellenländern wie Brasilien, Indien, China und Südafrika. Außer Lippenbekenntnissen seitens der G 20 ist noch nichts passiert. Dort herrscht die Auffassung vor, dass mit diesen Investitionen in den ländlichen Raum positive Entwicklungen für alle bewirkt werden. Die negativen Folgen, die Land Grabbing für die lokale Bevölkerung hat, werden ausgeblendet: Der Zugang der Kleinbauern zu Land und Wasser für die Nahrungsmittelproduktion wird massiv eingeschränkt. Bestürzend ist auch die Haltung der Bundesregierung: Für sie reduziert sich das Thema Land Grabbing auf die Eigentumsrechte, alle anderen Fragen wie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und die nach der Verantwortung der Investoren aus Deutschland bleiben ebenso ausgespart wie die Folgen der Agrotreibstoffproduktion.

Ein altes Problem, das die Ernährungssicherheit unterminiert, sind die Agrarüberschüsse im Norden - Geflügelfleischreste, Milchpulver, Tomatenmark etc. -, die zu Dumpingpreisen im Süden auf den Markt geworfen werden. Ein Auslaufen wenigstens der direkten Exportsubventionen ist für 2013 in der WTO verabredet worden. Wird der Agrarhandel auf eine fairere Grundlage gestellt?
Leider nein, auch wenn das Ende der direkten Exportsubventionierung zu begrüßen ist. Man muss sich nur die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ansehen, die gerade ansteht. Die ist darauf ausgerichtet, für die EU größere Anteile auf dem Agrarweltmarkt zu sichern - ohne Rücksicht auf die Belange der Hungernden. Einerseits wird in der Entwicklungszusammenarbeit auf Weiterverarbeitung von Agrarprodukten in den Ländern selbst gesetzt, andererseits will die EU beispielsweise den Export von Tomatenmark fördern und zerstört damit diese lokalen Märkte. Es gibt keine Kohärenz zwischen EU-Handelspolitik und der Entwicklungspolitik. Wir fordern, dass die EU in die Präambel der GAP das Recht auf Nahrung mit einschreibt und sich endlich ihrer internationalen Verantwortung stellt.

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