Es strömt viel in der LINKEN

Wo verlaufen die Konfliktlinien in den Debatten der LINKEN?

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Wo verlaufen die Konfliktlinien in den Debatten der LINKEN? Zwischen Ost und West, regierungswillig und grundlegend oppositionell, Jung und Alt, Links und Rechts? Meist mittendurch. Orientierungshilfe kann ein Blick auf die Strömungen und Zusammenschlüsse der Partei sein.

Sie gelten als Ausdruck des innerparteilichen Pluralismus, organisieren aber nur eine kleine Minderheit der Mitglieder: die Flügel der LINKEN. Immer wieder hat die Strömungspolitik für Debatten gesorgt, doch was wäre die Partei ohne ihre Expertenzirkel, Themenspezialisten und Traditionsvereine? Die Satzung ermöglicht in Paragraf 7 die Bildung »innerparteilicher Zusammenschlüsse«. Derzeit werden offiziell 40 Arbeitsgemeinschaften und andere Gruppen gezählt - von der AG Agrarpolitik bis zur AG Ethnische Minderheiten. Werden bestimmte Anforderungen erfüllt, winken Delegiertensitze und finanzielle Förderung. Auf dem Programmparteitag in Erfurt stellen die Zusammenschlüsse 50 von insgesamt 568 Delegierten. Die als bundesweit anerkannten Strömungsorganisationen kommen dabei auf zwölf Extramandate. 2010 waren als Mittel für die innerparteilichen Zusammenschlüsse 160 000 Euro in den Haushalt der LINKEN eingestellt. Nicht alle Strömungen sind im Satzungssinne »offizielle« Zusammenschlüsse. Die jeweilige Bedeutung für die Debatte in der LINKEN ist aber weder davon noch allein von der zahlenmäßigen Größe abhängig. Wie viele der von den Kreisverbänden entsandten Delegierten sich einer Strömung zurechnen, ist nicht erfasst.

Kommunistische Plattform

Die KPF ist die älteste Strömungsorganisation der LINKEN und wurde am 30. Dezember 1989 gegründet. Sie versteht sich als »offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten« und zählte nach eigenen Angaben im März 2011 genau 1238 Mitglieder. Ende 2008 waren es noch gut 840. Die Plattform entsendet derzeit sechs eigene Delegierte zum Parteitag (ab 2012: acht) und gibt die »Mitteilungen« heraus, die zurzeit etwa 1700 Leser haben. Dem Bundessprecherrat gehören unter anderem Ellen Brombacher, Thomas Hecker und Friedrich Rabe an. Sahra Wagenknechts Mitgliedschaft in der Plattform ruht. Die KPF hat neun Änderungsanträge zum Programmentwurf eingereicht, in denen es unter anderem um das DDR-Bild, die Forderung nach einem Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und die Absage an mögliche Einzelfallprüfungen für eine deutsche Beteiligung auch an UN-Missionen geht. Dabei beweist die Kommunistische Plattform sogar Humor: So will man die Formulierung »immer mehr Menschen lehnen den ungehemmten Kapitalismus ab« ersetzen, weil eine solche Bezeichnung die Illusion fördere, »er könnte Hemmungen haben«.

Forum Demokratischer Sozialismus

Das FDS blickt auch schon auf ältere Traditionen zurück: Bereits Anfang 1990 hatte sich in der PDS eine »Plattform Demokratischer Sozialismus« gegründet. Nach dem Geraer Parteitag (2002) schlossen sich reformorientierte Kräfte im Netzwerk Reformlinke und im Forum 2. Erneuerung zusammen. Viele aus diesem Spektrum fanden sich im März 2007 als Unterzeichner des Aufrufs »Also träumen wir mit hellwacher Vernunft« wieder. Die über 500 Mitglieder sind vor allem im Osten aktiv. Bundessprecher ist derzeit Benjamin Hoff, der in Berlin Staatssekretär war. Die im Sommer 2010 gewählte Co-Sprecherin Inga Nitz ist inzwischen aus der Partei ausgetreten. Die Differenzen in der LINKEN, heißt es beim Forum, das derzeit zwei eigene Delegierte zum Parteitag entsendet, seien »größer als gedacht«. Änderungsanträge wurden unter anderem zur Stärkung der Idee des Öffentlichen Beschäftigungssektors und zum transformatorischen Charakter der Politik der LINKEN eingebracht. Die Formulierung zu den »Haltelinien« im Leitantrag hält das FDS »trotz unserer prinzipiell ablehnenden Haltung« für einen »fragilen, aber akzeptablen Kompromiss«.

Antikapitalistische Linke

Die AKL trat im März 2006 mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, zu dessen Initiatoren unter anderem Sahra Wagenknecht, die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und Thies Gleiss aus dem damaligen Vorstand der Wahlalternative gehörten. Die AKL will Kräfte bündeln, »um im programmatischen Fundament der neuen Linken antikapitalistische Positionen zu verankern«. Sie ist offen für die Mitarbeit von Vertretern anderer Strömungen und Plattformen sowie unorganisierter Linker außerhalb der Partei. Die AKL ist nicht als bundesweiter Zusammenschluss anerkannt, in einigen Ländern existieren aber Landesarbeitsgemeinschaften. Kurz vor dem Parteitag in Erfurt hatte die Strömung über 1700 Unterstützer, sie wird von einem achtköpfigen Koordinierungskreis organisiert. Den Programmentwurf hat die AKL einerseits als »den antikapitalistischen Charakter« bewahrend begrüßt; andererseits will man in Erfurt »erhebliche Nachbesserungen einfordern«. Dazu wurden Änderungsanträge formuliert, mit denen unter anderem eine schärfere Formulierung der »Haltelinien«, die Neuformulierung der Passage zur UNO-Reform sowie eine Absage an den ÖBS erreicht werden sollen.

Sozialistische Linke

Die SL wird meist als die gewerkschaftlich orientierte Strömung in der Partei bezeichnet. Auch sie gründete sich um einen Aufruf herum. Das im August 2006 veröffentlichte Papier »Sozialistische Linke: realistisch und radikal!« betont links-sozialdemokratische und reformkommunistische Traditionen. Dem neunköpfigen Sprecherrat gehören unter anderem der WASG-Vordenker Ralf Krämer und der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens an, bekanntere Unterstützer sind außerdem die Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke. Die SL ist vor allem im Westen stark. Derzeit zählt die Strömung über 700 Mitglieder, sie entsendet vier eigene Delegierte zum Parteitag (2012: drei). Auf Initiative der Sozialistischen Linken ist unter anderem ein Programm-Kapitel zur Klassengesellschaft eingefügt worden. Bedenken gibt es in der SL unter anderem wegen der »Abschwächung der Haltelinien linker Regierungen beim Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst«. Die Strömung hat Änderungsanträge etwa zum Thema Rechtspopulismus, zur europäischen Finanzarchitektur und zur UNO-Reform gestellt.

Emanzipatorische Linke

Die EmaLi hat sich im Mai 2009 als Strömung konstituiert, hat es aber bisher nicht geschafft, als bundesweiter Zusammenschluss anerkannt zu werden. Ausgangspunkt war 2006 das Papier »Freiheit und Sozialismus«. Sprecher sind derzeit Julia Bonk und Olaf Michael Ostertag, prominenteste Vertreterin ist Parteivize Katja Kipping. Die Strömung macht sich für linksemanzipatorische und radikaldemokratische Inhalte stark, großen Raum nehmen die Kritik der Arbeitsgesellschaft und der Geschlechterverhältnisse ein. Die EmaLi, die einige Schwierigkeiten beim Strukturaufbau hatte, organisiert derzeit etwa 150 Menschen. Sie erreicht als »Schnittstelle« in die linke Szene darüber hinaus auch außerhalb der Partei Menschen. Ihr steht das seit 2008 erscheinende Magazin »Prager Frühling« nahe. Die Strömung will unter anderem den Anarchismus als Traditionslinie der LINKEN im Programm verankert wissen und plädiert für mehr Selbstorganisierung statt Staatsfixierung. Während andere die Idee unterstützen, Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« ins Programm aufzunehmen, macht sich die EmaLi für ein »Kulturdokument der Gegenwart« stark: den »Wir sind Helden«-Song »Die Reklamation«.

Marxistisches Forum und Geraer Dialog

Das Marxistische Forum wurde im Mai 1995 gegründet und versteht sich eher als Diskussionszusammenhang denn als Strömung. Als Ziel formuliert das Forum, »den Rang der marxistischen Gesellschaftsanalyse innerhalb der Diskussion in der Partei durch die Verbreitung marxistischen Wissens und dialektischen Herangehens zu erhöhen«. Bekanntere Vertreter sind die früheren Bundestagsabgeordneten Uwe Hiksch und Uwe-Jens Heuer. Unregelmäßig wird die »Gelbe Reihe« publiziert. Der Geraer Dialog entstand 2001 als »Mittelgroßer Ratschlag« in der PDS. Nach dem Geraer Parteitag (2002) unterstützte der Dialog den Kurswechsel der neuen PDS-Spitze. Die eigentliche Gründung erfolgte Anfang 2003, später erfuhr der Name den Zusatz »Sozialistischer Dialog«. Ende 2010 lag die Mitgliederzahl bei 173. In einer Cursdorfer Erklärung vom Juli 2011 sah der Geraer Dialog im Programmentwurf »einige Schärfungen nach links«, aber auch »Verwässerungen«. Es zeichne sich ein Dokument ab, das »Züge eines ethisch-sozialistischen und sozialdemokratischen, bestenfalls linkssozialistischen Programms« trage. Weshalb auch der Geraer Dialog Änderungsanträge formuliert hat. nd-Fotos: Wolfgang Frotscher

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal