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Nicht nur »Wording« aus atmosphärischen Gründen

Kommt jetzt der Mindestlohn über den Umweg »feste Lohnuntergrenze«?

  • Lesedauer: 5 Min.
Die CDU hat ihren Widerstand gegen den allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn weitgehend aufgegeben. Was diese Entwicklung bedeutet, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Claus Schäfer.
Dr. Claus Schäfer
Dr. Claus Schäfer

ND: Nach langem Widerstand ist die CDU in Richtung Mindestlohn gekippt. Sie spricht von einer »festen Lohnuntergrenze« und will sich am Mindestlohn Leiharbeit orientieren (6,89 Euro Ost und 7,79 West) Ist das wirklich etwas anderes oder will die CDU nur das Wort Mindestlohn vermeiden, um die FDP nicht zu verprellen?
Schäfer: Also es gibt sicher auch hier ein bestimmtes »Wording« aus atmosphärischen Gründen, aber ich glaube, dass man sich in der Substanz schon in Richtung eines Mindestlohns genähert hat. Der Teufel liegt aber im Detail. Das ist beispielsweise die Verschiebung der Verantwortung von der Gesellschaft, sprich von der Regierung auf die Tarifpartner. Es ist nicht garantiert, dass insbesondere die Arbeitgeberseite den Vorschlag aufgreift. Die großen Arbeitgeber verbände BDA und BDI sind bekannt dafür, dass sie seit Jahren eine andere mögliche Form der Lohnuntergrenze - die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen - immer mehr abgebaut bzw. verweigert haben. Insofern muss man abwarten, ob der gute Wille bei der CDU nicht zu schlechtem Spiel bei den Arbeitgebern wird. Dann müsste die Regierung doch einen gesetzlichen Mindestlohn verordnen. Die zweite Hürde, die noch zu nehmen ist, ist die Höhe des Mindestlohns. Die Arbeitgeber könnten die generelle Verweigerung hinter einer sehr sehr niedrigen Höhe verstecken. Das Problem wäre das selbe.

Im Antrag, den die CDU auf ihrem Parteitag verabschieden will, heißt es, sie wollen eine Lohnuntergrenze für die Bereiche, »in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert«. Tarifverträge, die niedriger sind, gelten damit weiter, oder?
Potenziell gibt es diesen Widerspruch. Etliche Branchenmindestlöhne liegen unter der Leiharbeit. Man begründet ja den gesetzlichen Mindestlohn auch mit inhaltlichen Argumenten, mit Preissteigerungen, mit Existenzminimum.

Und wenn man eine Lohnuntergrenze für die Bereiche gut findet, wo es keinen Tarifvertrag gibt, muss man das auch gut finden für die Bereiche, wo es einen Tarifvertrag gibt. Das meinte ich auch mit: »Der Teufel liegt im Detail.« Ob sich die CDU über dieses Problem im Klaren ist, weiß man natürlich nicht.

Der Wirtschaftsflügel der CDU ist entsetzt über den Mindestlohnvorstoß. Aber selbst die Arbeitgeber fordern das teilweise.
Besonders dort, wo es tarifvertragliche Mindestlöhne gibt, haben die Arbeitgeber gemerkt, dass das beiden Seiten nützt - nicht nur dem Sozialschutz der Arbeitnehmer dient, sondern auch dem Wettbewerbsschutz der Arbeitgeber. Der Mindestlohn ist generell eine Versicherung dafür, dass die Arbeitgeber gleiche Wettbewerbsbedingungen haben und da natürlich um Qualität und Preis konkurrieren, aber eben nicht um schlechte Arbeitsbedingungen.

... also auch um Qualität und Preis der Arbeitskraft?
Natürlich. Mindestlohn heißt ja nicht, dass es verboten ist, höhere Löhne zu zahlen. Kluge Arbeitgeberverbände in der Branche gibt es mittlerweile in Deutschland auch, aber BDA und BDI gehören eben noch nicht zu diesen Klugen.

Auch bei den Gewerkschaften musste ein Umdenken stattfinden. Der Mindestlohn galt lange Jahre als Weg zum Lohndrücken.
Sie haben eingesehen, dass man unter den Rahmenbedingungen, die die Gewerkschaften von Seiten der Politik vorgesetzt bekommen, für fast die Hälfte aller Beschäftigten keine Tarifverträge mehr hinbekommt. Also brauchte man ein ergänzendes Instrument. Das kann nur eine gesetzliche Rahmenbedingung sein - wie wir sie übrigens immer gehabt haben: Wir haben einen gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch. Wir haben gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeiten. Insofern ist das alles im Prinzip nichts Neues.

Was für ein Modell zur Einführung des Mindestlohns wäre denkbar?
Man könnte es wie in Großbritannien probieren, wo in der Mindestlohnkommission Arbeitgeber, Gewerkschaften und Wissenschaft vertreten sind. Diese Kommission macht einen Vorschlag an die Regierung, den diese per Gesetz erlässt. Insofern ist es dann letztlich ein Gesetz auf Vorschlag der Tarifparteien. Das kann in Deutschland auch funktionieren - wenn die Arbeitgeber mitspielen. Wie man das Ding dann nennt, ist letztlich egal.

DGB und Gewerkschaften sagen, 8,50 Euro wäre ein gute Höhe. Die LINKE spricht von zehn Euro. Was sagt der Wissenschaftler?
Die Forderung von 8,50 Euro ist zwei Jahre alt, es hat seitdem Preissteigerungen gegeben. Man muss die zeitliche Entwicklung immer im Blick behalten. Insofern wären neun Euro besser, und noch höher wäre noch besser. Die 8,50 Euro wurden gefordert, nachdem die 7,50 Euro jahrelang gestanden haben. Mit 8,50 oder neun Euro kann man gerade über die Runden kommen. Aber »spätrömische Dekadenz« ist das nicht.

Ein oft gehörtes Argument ist, dass der gesetzliche Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet.
Das war lange wissenschaftlich umstritten. Seit fünf bis zehn Jahren häufen sich aber die empirischen Untersuchungen, nach denen es keine spürbaren negativen Beschäftigungseffekte gibt. Das wäre auch verwunderlich: In Frankreich gibt es seit 1949 schon den gesetzlichen Mindestlohn, in vielen anderen Ländern danach auch. Die englischen Arbeitgeber haben ziemlich spät eingesehen, dass ein Mindestlohn auch die Arbeitgeberseite schützt.

Ich kann mich an eine Pressekonferenz in der englischen Botschaft in Berlin erinnern, wo von den guten englischen Mindestlohnerfahrungen berichtet wurde. Die wurde überschrieben mit dem Slogan »Minimum wage - minimum fuss«, das heißt so viel wie »Mindestlohn - kein Ärger«. Rational spricht alles für diese Position. Wenn heute noch jemand dagegen ist, kann das eigentlich nur ideologische Gründe haben.

Ist es legitim, dass die Bundes-CDU eine unterschiedliche Höhe in Ost und West fordert?
Es ist insofern nachvollziehbar, als dass der ganze Vorschlag an die Tarifautonomie anknüpft, die per Tarifvertrag nach wie vor Lohnunterschiede zwischen Ost und West kennt. Allerdings machen sich diese Unterschiede inzwischen zu Lasten der neuen Länder bemerkbar, die eine »Auswanderung« von jungen und qualifizierten Personen zu beklagen haben. Deshalb sollte bei einem Mindestlohn die Differenz möglichst klein sein - oder sogar Null, um hier ein wenig Gegengewicht angesichts der Abwanderung zu schaffen.

Wie viele Menschen würde der Mindestlohn betreffen?
Es kommt darauf an, wie er gemeint ist. Wenn er die auch tarifvertraglich bestehenden niedrigeren Mindestlöhne erhöhen würde, dann würde es viele Millionen treffen. Wenn nicht, dann eben nur ein paar Millionen. Aber was heißt »nur« - ein paar Millionen sind auch sehr viele.

Vielleicht kann das bald runter ... Transparent an einem Haus in Sachsen.
Vielleicht kann das bald runter ... Transparent an einem Haus in Sachsen.
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