Sprühen, bis der Arzt kommt

Polizeigewerkschaften stemmen sich gegen bundesweite Kennzeichnungspflicht

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Linksfraktion im Bundestag will den Einsatz von Pfefferspray beschränken und die Kennzeichnungspflicht für Polizisten durchsetzen. Kurz vor dem nächsten Castortransport nach Gorleben bekommt die Debatte eine besondere Brisanz.

Polizeigewalt ist in Deutschland weiter verbreitet, als so mancher denkt. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) eine 71 Seiten lange Studie über unverhältnismäßig hartes Vorgehen von Polizisten. Fazit: Viele Vorfälle bleiben ungeahndet.

Damit sich dies ändert, fordern AI sowie SPD, Grüne und LINKE eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. In Berlin gibt es sie bereits, allerdings hat der Gesamtpersonalrat der Polizei Klage dagegen eingereicht. Auch in 15 europäischen Ländern - unter anderem in Spanien, Tschechien und Großbritannien - tragen Beamte Etikette entweder mit Namen oder Identifikationsnummer. Nach Angaben des früheren Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch gibt es nur in Spanien Belege für Übergriffe oder unberechtigte Anschuldigungen gegen Polizisten infolge der Kennzeichnungspflicht. Trotzdem wehren sich in Deutschland die Bundesregierung sowie Polizeivertreter gegen die bundesweite Einführung dieser Regelung.

Entsprechend wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte ein Antrag der Linksfraktion. Sie fordert das Tragen von Namensschildern oder einer einprägsamen Nummernkombination auf Uniformen und Helmen der Bundespolizei. In einem weiteren Antrag wird verlangt, den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei zu beschränken. Denn bei gesunden Menschen sind Verletzungen der Netzhaut möglich. Asthmatiker, Allergiker, Menschen mit labilem Blutdruck oder solche, die unter Drogen stehen, sind stark gefährdet. Auch Todesfälle nach Pfefferspray-Einwirkung sind dokumentiert. Zudem sei bei einem Reizstoffeinsatz gegen Menschenmengen immer zu befürchten, dass auch Unbeteiligte zu Schaden kommen. Jüngste Beispiele waren die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 und der Castortransport im November 2010.

Vertreter der Polizei sind nun im Vorfeld des nächsten Castortransportes, der am 24. November nach Gorleben rollen soll, bemüht, gegen die Kennzeichnungspflicht mobilzumachen und Pfeffersprayeinsätze zu rechtfertigen. Gelegenheit hierzu hatten sie am Montag bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages. Rüdiger Reedwisch von der Polizeigewerkschaft DPolG sagte, die Kennzeichnungspflicht sei bei Namens- und Nummernschildern nicht mit dem Persönlichkeitsschutz vereinbar. »Auch Nummernkombinationen können zu Missbrauch führen«, meinte Reedwisch.

Bezüglich des Castortransportes machte er deutlich, dass die Polizei erneut zu einem harten Durchgreifen bereit sein wird. »Wir können nicht jeden fragen, ob er irgendwelche Medikamente nimmt. Wer sich ordnungsgemäß verhält, kriegt kein Pfefferspray ab«, so Reedwisch. Schlagstockverletzungen können wesentlich schwerer sein, fügte Bernhard Witthaut, Chef der Gewerkschaft der Polizei, hinzu.

Joachim Rahmann von AI forderte, eine medizinische Versorgung für durch Pfefferspray verletzte Menschen bereitzustellen. Ob dies mit der von Witthaut gelobten »hohen Wirkungsquote« des Sprays vereinbar ist, konnte in der Sitzung jedoch nicht eindeutig geklärt werden.

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