Feder oder Schwert?

»Anonymus« von Roland Emmerich

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 6 Min.

War Shakespeare ein Lügner?« Vom Filmplakat an der Litfaßsäule herab will sich die Frage in uns einkrallen. Prompte Antwort: Welche Frage! Und wenn ja, interessiert uns das? Shakespeare und Glaub-Würdigkeit, so nackt in Zusammenhang gebracht, da regt sich der Impuls zum Nachfragen: Inwiefern? Dieses kleine Fünkchen Interesse nutzt »Anonymus« aus. Nimmt die in letzter Zeit wieder stärker diskutierte These auf, wonach William Shakespeare, der meistgespielte Dramatiker aller Zeiten, der 37 Stücke schrieb, 154 Sonette und weitere Gedichte - gar nicht deren Verfasser sei. Aber müssen wir, uns an seine(n) Werke(n) zu (unter)halten, wirklich etwas über die wahre Urheberschaft wissen? Auch diese natürliche Distanz zum Spekulieren und Rütteln an sicher geglaubten Fundamenten kalkuliert der Film mit ein. Denn, mit Shakespeare - oder wem auch immer - und seinem »Was ihr wollt« gesprochen: »All the world's a stage.« Und so stellt er die Geschichte nach Art russischer Holzsteckpuppen auf die Bühne einer Bühne mit Bühne.

Passenderweise sind es Aufnahmen in einem Theater der Gegenwart - dem Broadway -, die der Handlung mit Prolog und Epilog geradezu märchengerecht den Rahmen geben. Und es ist Sir Derek Jacobi, der große Shakespeare-Darsteller (und Oxfordianer - dazu später), der zum Publikum, zu uns Heutigen spricht. Er lässt uns eintauchen in die Geschichte aus der Zeit vor Hunderten von Jahren. Er kam abgehetzt, gerade noch pünktlich nach rasender Taxifahrt durch Manhattan auf die Bühne, den Staubmantel nicht ab-, ein Kostüm nicht angelegt. Ein Kniff, uns zu sagen: Diese Zeit auch als unsere zu erkennen, bleibt euch überlassen oder aufgetragen. Wo Shakespeare draufsteht, muss nicht Shakespeare drin sein, aber es ist modern. Denn es ging und geht im Folgenden um Macht, was sonst, um den Dreh- und Angelpunkt im Großen wie im Kleinen.

Regisseur Roland Emmerich - durch Katastrophen-Spektakel wie »Independence Day«, »The Day After Tomorrow« oder »2012« als Zerstörungswütiger bekannt - widmet sich einer ganz besonderen Macht: der des Wortes. Was ist mächtiger: die Feder oder das Schwert?, lautet eine der Fragen, auf die der Film hinargumentieren will. Also: Kunst und Politik - wie passen die zusammen? Ganz einfach, sagt unsere Beobachtung: Sie passen nicht, weder das eine dem anderen, noch umgekehrt. Aber: »Jede Kunst ist politisch, sonst wäre sie nur Zierde«, ruft der Held aus.

Das ist das Passwort für Roland Emmerich. Und er kann wohl nicht anders, als das Drama opulent zu inszenieren. In enormem Tempo spult er seine Geschichte ab, voller Zeitsprünge, viele verschiedene Geschichten verfolgend (was die Kraft der Handlungslinien arg verbastelt), aber mit historischer Detailversessenheit in Kulisse, Kostüm und Ausstattung, nicht zuletzt mit computeranimierten Überflügen über das alte London und einem Blick aus der Vogelperspektive aufs oben offene Rund des legendären Globe Theatre - wann sieht man es schon so -, mit Degengeklirr, Pferdeschnauben und Shakespeare-Zitat-Schnipseln, dass es nur so böllert wie Feuerwerk, das schnell aufsteigt und ebenso schnell verglüht.

Er schafft ein gegenwartsgrundiertes Porträt des Elisabethanischen Zeitalters: Es war eins der Ränke, Verschwörungen, des wirtschaftlichen Aufstiegs und der Unabhängigkeit von der Papstkirche, ständig im Wirbel innerer und äußerer Bedrohungen. Hier rotieren Lügen, Verrat, Mord, Sex und Inzest - ganz wie bei Shakespeare. Emmerich rafft's zusammen zu Thriller, Liebestragödie und Königsdrama in einem.

Trotz des Apokalypse-Meisters unerwarteten Umstiegs ins seriöse Fach ist der Film, in Deutschland (Babelsberg) und mit britischen Schauspielern gedreht, erwartungsgemäß durchaus wieder einer der verschwäbelt Hollywood-gerechten Art, also massenkompatibel. Mithin gefährlich, da er an Englands kultureller DNA werkelt, wie bereits die Shakespeare-Stiftung und Prinz Charles sich sorgen. (Dabei ist »Anonymus« solcherart Warnung nicht wert. An die Wirkmacht guter Filme, deren Fiktion mehr Wahrheitsgehalt besitzt als eine realistische Schilderung und die ein Geschichtsbuch ersetzen, reicht er nicht heran. Will er auch gar nicht.) Denn Emmerich steht eindeutig auf der Seite der Forscher und Persönlichkeiten wie Sigmund Freud, Mark Twain, Orson Welles, Charlie Chaplin oder eben Derek Jacobi, die dem Shakespeare aus Stratford-upon-Avon nur die Rolle eines Strohmannes für den Grafen von Oxford zuschreiben. (In den letzten hundert Jahren wurden neben dem 17. Earl von Oxford, den auch Emmerich als Shakespeare-Stückeschreiber ansieht und verteidigt, vier Dutzend Kandidaten für die Autorenschaft ins vermutlich endlose Ratespiel gebracht.)

Shakespeare sei nur ein Schauspieler, ein Analphabet, dümmlich, plump, ein lästiger Bursche und Abzocker gewesen, frech genug, dem Dramatiker Ben Jonson die ursprünglich an ihn gegangene Strohmannrolle abzuluchsen und dann allen Ruhm einzuheimsen, und viel zu sagen bekommt er im Film nicht (der arme Rafe Spall). Illustriert wird diese Emmerich-gefärbte Oxfordianer-Version unter anderem mit einer schönen Szene: Rhys Ifans, blick- und gestenstark als Edward de Vere, mit ewig schwarzen Tintenfingern, sitzt in seinem faustische Universalität anmutendem Studierzimmer und probiert auf einem Blatt Papier mit seiner Feder die Schreibweise des Namens des Will oder William: Shaksp, Shakspe, Shakesper, Shakespere, Shakspere, Shakspeare. Das nämlich sind die überlieferten Unterschriften des »Lügners« (?). - Na, wenn das kein schlagender Beweis ist für die Autorenschaft des Aristokraten.

Der Graf outet sich in einer Szene als vom Schreiben Besessener, der, wie er seiner verständnislosen Frau versichert, um nicht wahnsinnig zu werden, seine Dramen schreiben muss (Workaholic, sagt man heute), und die sind quasi Lifemitschnitte dessen, was er am Hof und auf der Straße erlebt. (Volksaufruhr, ausgelöst durch seine Worte auf der Bühne, inbegriffen.) Wobei das Wichtigste all des Geschehens, dieser Ära, nach Emmerich, eins ist: die Thronfolge. Wer wird der nächste König: ein Abkömmling der Tudor-Bastarde oder der Cecils? Der Edle, der sich aus Standesgründen nur leider nicht als Schreibender zu erkennen geben darf (Anonymus, sic!), will die Welt mit Worten ändern. Beinahe klappt's. - Man muss leider allerhand wissen von englischer Geschichte, um die Anspielungen des Films auf die Essex-Revolte zu verstehen. Aber irgendwie soll man ja wohl in der allgemeinen Unübersichtlichkeit, die die ständigen Rückblenden und Personal- und Erzählungstrangwechsel erzeugen, nicht auf historische Genauigkeit achten.

Die ältere Königin wird von Vanessa Redgrave dargestellt - die außerordentliche Schauspielerin ist in ihrer Rolle grandios. Einmal sieht man Elizabeth I. beim Ankleiden: Der junge Graf von Oxford (Jamie Campbell Bower), ihr Liebhaber, stürmt in ihr Gemach, ohne Einhaltung der Etikette, und sie steht da in - Unterwäsche. Dies ein szenischer Hinweis auf die Enthüllung einer familienintern ziemlich argen Angelegenheit ganz am Ende des Films: Edward de Vere ist der Königin Sohn.

Gut zu schreiben wie kein Zweiter - das also liegt in den adeligen Genen? Eine biologistische Erklärung zu geben, wie Emmerich unterstellt wird, ist seine Sache jedoch nicht. Man blicke hinter die Oberfläche der Szene, in der Edward de Vere pathetisch erklärt, dass er vom ältesten Adel des Landes sei, älter noch als die Tudors. Ist dieser Satz nicht vielmehr Appell: Die Zunft der Dichter ist ältester Adel, älter als die der Politik, nur die Schönheit, nur die Künste zu leben sind es wert.

Das Beste, das uns der Film, der schon auf der Frankfurter Buchmesse promotet werden durfte, eingeben kann, ist Neugier. Nicht die auf des Rätsels Lösung: »Wer war Shakespeare?«, sondern auf dessen Werk. Nehmen wir doch einfach nach dem Kino-Besuch - gut unterhalten oder nicht - den »Hamlet« zur Hand, »Romeo und Julia«, »Lear«, »Der Widerspenstigen Zähmung« oder am besten »Viel Lärm um nichts«.

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