...Rätsel unter Leinwänden

Bremen bietet rund um das Wasser Kultur, Originale ...

Lothar Vennemann, ein Bremer Original
Lothar Vennemann, ein Bremer Original

In der Stadt wimmelt es nur so vor Promis. Freiherr von Knigge ist hier begraben. Die vier Stadtmusikanten sind seit Jahrhunderten da und einfach unsterblich. Wer den Esel an den Beinen berührt, hat einen Wunsch frei, sagt die Legende. Doch die Berührung will gelernt sein. Mit beiden Händen müssen die Beine des Graurocks leicht gerieben werden, sonst ist der Wunsch für die Katz'. Mit nur einer bedeutet es, dass sich zwei Esel Guten Tag sagen.

Unsterblich ist auch der Roland auf dem Marktplatz, »der schönste, älteste und größte Roland«, wie Stadtführerin Elke Nistler stolz betont. Er steht in Sichtweite zum Rathaus. Das Bremer Rathaus ist das einzige Rathaus in Deutschland, das - seit dem 7. Juli 2004 - zum Weltkulturerbe gehört. »Auf dem schönen Balkon feiert Werder Bremen seine Erfolge oder besser, lässt sich feiern. Wir sind optimistisch, dass es bald wieder klappt«, so Elke Nistler. Es muss eine glückliche Mannschaft sein, denn hier in Bremen, so scheint es, ist wirklich jeder Werder-Fan.

Bremen ist eine Stadt mit viel Wasser, nicht nur in der Weser. Auch der Hafen im 60 Kilometer entfernten Bremerhaven gehört den Bremern. Und es ist eine Stadt mit viel Platz. Statistisch gesehen hat ein Bremer doppelt so viel Platz wie ein Münchner. Und die Werderaner haben das einzige Fußballstadion, das per Schiff erreicht werden kann - von Bremen-Vegesack aus. Leider habe ich vergessen, das Vegesacker Original Lothar Vennemann zu fragen, ob sein Herz auch für Werder schlägt. Dass er ein Herz für Kinder hat, ist nicht zu überhören. Auf dem Weg zur Maritimen Meile in Vegesack grüßt ihn fast jeder, und auffällig viele junge Menschen. »Meine Fans.« Der kleine, rundliche Mann scheint vor Stolz einige Zentimeter zu wachsen. Lothar Vennemann ist Pirat (»Captain Säbelzahn«) und Weihnachtsmann in einer Person - je nach Jahreszeit. Der Bart ist echt, der Bauch auch. Der »Weihnachts-Käpt'n«, früher Schauspieler im Stadttheater, wurde sogar schon in einer Fernsehshow von einer Kinderjury zum schönsten und authentischsten Weihnachtsmann gewählt.

Die Maritime Meile in Bremen-Vegesack ist 1852 Meter lang - wie eine wirkliche Seemeile. Hier kann man Schifffahrtsgeschichte hautnah erleben und auch das »Schulschiff Deutschland« erkunden oder in einer der 30 Kabinen übernachten. »Ich würde Dich ja gern noch weiter begleiten. Habe aber keine Zeit. Der nächste Termin wartet.« Lothar Vennemann schwingt sich auf sein Elektro-Fahrrad und radelt davon.

Wir bleiben am Wasser, fahren in die Überseestadt. Auf dem Weg dorthin, ganz nah beim Zentrum, liegt »Das Viertel« - der bunteste Stadtteil Bremens. Hier wohnt der Galerist neben dem Lebenskünstler, der Arzt neben dem Studenten, der Oberstudienrat neben dem Punker. Hier herrscht eine Mischung aus Luxus und Subkultur.

Wer weiß, vielleicht ist solch ein Mix auch eines Tages in der Überseestadt zu finden. Dreimal so groß wie die Altstadt wird das neue Viertel. Es entsteht auf dem Gebiet des einstigen Überseehafens, der von Kapazität und Lage her mit den großen Seehäfen nicht mehr mithalten konnte. Das Hafenbecken wurde mit 3,5 Millionen Kubikmetern Sand zugeschüttet. Auf dem Areal entsteht mit der Überseestadt auf 300 Hektar eines der größten städtebaulichen Projekte Europas. Wo früher Kaffee und Tee gelagert wurden, entstehen Wohnungen - die ersten Mieter sind eingezogen -, Büros, Restaurants. Über 450 Firmen mit 9000 Beschäftigten arbeiten schon hier. In der Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld lassen sich die Silberschmiede gern über die Schulter schauen. Hans-Hermann Grotegeerf arbeitet gerade am Griff der Kopie des Fußball-Champions-League-Pokals. Auch das Original wurde hier hergestellt.

Von einst 500 Bremer Kaffeeröstereien blieben zwei übrig. Eine davon, die Lloyd Caffee GmbH, leitet Christian Ritschel. »Wir rösten Kaffee in 20 Minuten, die Industrie in 70 Sekunden«, bringt er einen Vorzug seiner Ware an den Mann. 40 Sorten sind im Angebot, probieren ist erwünscht.

Wer sehen möchte, wie die Hafengegend einst aussah, als noch Schiffsladungen gelöscht wurden, besucht das Hafenmuseum im Speicher XI. In der Schau werden 120 Jahre Bremer Hafengeschichte lebendig. Viele Bremer haben Anteil an der Ausstellung, brachten sie doch Sachen an, die oft noch mit einer persönlichen Geschichte verbunden waren.

Zurück in die Stadt: Ein Dauergast Bremens sorgte - Jahrzehnte nach seinem Tod - für eine Sensation. Und die wiederum war Anlass für eine Ausstellung, die in der nach zweijährigem Umbau wiedereröffneten Kunsthalle für einen Besucheransturm sorgt. 1918 erwarb Kunsthallendirektor Emil Waldmann das Bild »Das Kind und der Tod«. Es war das erste Gemälde des norwegischen Künstlers Edvard Munch, das seinen ständigen Platz in einem deutschen Museum fand. Niemand ahnte, dass dieses 1899 gemalte Bild - ein kleines Mädchen mit seiner toten Mutter im Hintergrund - mehr als 100 Jahre später die Kunstwelt aufhorchen ließ. Restauratoren der Kunsthalle untersuchten auf Bitte des Munch-Museums in Oslo, das ein Werkverzeichnis der Gemälde Munchs vorbereitet, das Bild maltechnisch. Dabei entdeckte eine Bremer Restauratorin, dass sich unter dem »Kind« eine weitere Leinwand befand. Das obere Bild wurde abgespannt. Zum Vorschein kamen »Ein Mädchen und drei Männerköpfe«. Das gruselig wirkende Bild zeigt eine scheue junge Frau als Objekt männlicher Begierde - lüstern blickende Fratzen, greifende Hände. Unschuld und Begierde, Liebe und Tod sind zentrale Objekte im Schaffen Munchs. Beide Bilder demonstrieren dies anschaulich. Sie stehen auch im Mittelpunkt der Ausstellung »Edvard Munch - Rätsel hinter der Leinwand«, die von Leihgaben aus zahlreichen Museen, darunter des Munch-Museums Oslo und des Kunstmuseums Bergen, umrahmt werden.

»Kiek mal wieder rinn«, verabschiedet sich Elke Nistler. Worauf sie sich verlassen kann.

  • Infos: Bremer Touristik-Zentrale, Findorffstr. 105, 28215 Bremen, Tel.: (0421) 30 800 10, www.bremen-tourism.de; E-Mail: btz@bremen-tourism.de;
  • Überseestadt: Infocenter: Am Speicher XI, E-Mail: mail@ueberseestadt-bremen.de, www.ueberseestadt-bremen.de
  • Hafenmuseum: Am Speicher XI, www.speicherelf.de
  • Kunsthalle: Am Wall 207, 28195 Bremen, Tel.: (0421) 32 90 80,
  • E-Mail: info@kunsthalle-bremen.de, www.kunsthalle-bremen.de, www.munch-bremen.de
  • Die Edvard-Munch-Ausstellung ist noch bis zum 26.2.2012 zu sehen.
die bekanntesten Bremer, die Stadtmusikanten am Rathaus
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