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Leseprobe
Die Große Katastrophe
Als Auftakt für Vorträge und Vorlesungen entschließe ich mich oft, einige Probleme aufzuwerfen, die durch verschiedene Interpretationen der Geschichte entstehen, indem ich den Zuhörern vier oder fünf einfache Fragen stelle:
Können Sie die fünf größten Schlachten des Krieges in Europa nennen? Oder besser noch die zehn größten Schlachten?
Können Sie die wichtigsten politischen Ideologien nennen, die während des Krieges in Europa um die Vormachtstellung fochten?
Können Sie das größte Konzentrationslager nennen, das in Europa in den Jahren 1939-45 in Betrieb war?
Können Sie die europäische Nation (oder ethnische Gruppe) nennen, die während des Krieges die meisten Zivilisten verlor?
Können Sie den Namen des Schiffes nennen, dessen Untergang bei der größten Seekatastrophe des Krieges die meisten Menschenleben gefordert hat?
In der Regel folgt auf diese Fragen Totenstille und dann ein Gewirr von Vermutungen und Rückfragen. Nachdem ich den Tumult beruhigt habe, biete ich den Zuhörern eine Meinung an. »Solange wir nicht die korrekte Antwort auf grundlegende Sachfragen ermittelt haben«, sage ich, »verfügen wir nicht über das nötige Rüstzeug, um ein Urteil über die umfassenderen Probleme zu fällen.«
All das verweist auf die zunehmende Fragmentisierung der Erinnerung, auf die politische Ins-trumentalisierung der Kriegsgeschichte und darauf, dass diese Geschichte von nationalen Partikularinteressen beherrscht wird. Meiner Ansicht nach besteht deshalb die Notwendigkeit zur Überprüfung der Prinzipien, die eines Tages den Rahmen für eine endgültige und umfassende Geschichte des Zweiten Weltkrieges abgeben könnten. In diesem Buch möchte ich diese Prinzipien diskutieren und, zumindest in Umrissen, das sich daraus ergebende begriffliche Bezugssystem skizzieren.
Aus dem Vorwort des britischen Osteuropa-Experten Norman Davies von der University of London zu seinem Buch »Die Große Katastrophe. Europa im Krieg 1939-1945« (Droemer, 847 S., geb., 36 €).
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