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Ein New Yorker in der DDR

Victor Grossman erinnert sich

  • Hans Rehfeldt
  • Lesedauer: 2 Min.

An der Harvard-University hatte er einer kommunistischen Studentengruppe angehört. Im August 1952 bekam der 24-jährige US-Besatzungssoldat in Österreich, Steve Wechsler, ein Einschreiben vom Pentagon, in dem die Anschuldigung erhoben wurde, er habe gegen seinen Treueeid verstoßen. Er hatte sich nicht entsprechend einem McCarthy-Gesetz von 1950 bei der Einberufung zur Armee als Linker geoutet. Nun sollte er sich darob innerhalb einer Woche beim Militärgericht melden. Doch Steve Wechsler denkt nicht daran. Er weiß, dass ihm eine harte Strafe droht. Außerdem will er mit dem Militär nichts mehr zu tun haben. Den Krieg, den sein Land gegen Nordkorea führt, kann er nicht gutheißen. Und so entschließt er sich zu desertieren.

Er flüchtet an die Grenze bei Linz an der Donau und schwimmt in voller Uniform auf einen sowjetischen Grenzposten am anderen Ufer zu. Von nun an änderte sich sein Leben grundlegend. Nachdem ein sowjetischer Offizier sich seine Geschichte angehört hat, schlägt er ihm – zum eigenen Schutz – vor, seinen Namen zu ändern. Fortan heißt er Victor Grossman. Er wird Bürger der DDR, arbeitet zunächst im Waggonbau Bautzen, lernt dort seine Frau kennen und studiert dann an der Karl-Marx-Universität Journalistik.

Nun blickt er auf sein Leben zurück. Er fühlte sich wohl in der DDR, wusste die Errungenschaften dieses sozialistischen Staates zu schätzen, sah aber auch dessen Schwächen. Doch es gab keine Obdachlosen oder Bettler wie in New York, und es gab medizinische Betreuung für jedermann, was in den USA nicht selbstverständlich war und ist. Mit allem Können und Talent setzte er sich für diesen Staat ein und ärgerte sich über die Blindheit und Sturheit der Funktionäre der führenden Partei, die schließlich den Untergang der DDR verschuldeten. Traurig vermerkt er überzogene Härte, Misstrauen und mangelnde Menschlichkeit. Dennoch, die DDR war seine Heimat.

Grossman kannte den Kapitalismus nicht nur aus Lehrbüchern wie viele DDR-Bürger. Deshalb verwundert ihn nicht, was in Ostdeutschland nach der Vereinigung geschah. Er wusste vordem, dass die Freiheit jedes Einzelnen und der Völker sowie die Menschenrechte unter dem Diktat des Kapitals angreifbar sind. Inzwischen werden viele DDR-Bürger ähnliche Einsichten gewonnen haben. Sie werden dieses Buch mit Gewinn lesen.

Victor Grossman: Ein Ami blickt zurück auf die DDR. Spotless, Berlin. 95 S., br., 5,95 €

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