Der Traum vom Nein-Sagen

»Habemus Papam« von Nanni Moretti

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Thema ist so neu nicht: das soeben gewählte Oberhaupt der katholischen Kirche ziert sich, trägt seine Zweifel am Amt des obersten Hirten durch den Film, um am Ende dann doch der beste alle möglichen Päpste zu werden. Noch einmal Mensch sein, bevor das Amt einen aussaugt. Einmal noch den Menschen unerkannt von Gleich zu Gleich begegnen, bevor man Ideologe und oberster Dogmatiker wird, der anderen sagt, was sie zu denken und zu fühlen haben! Am eindrucksvollsten darin bisher: »In den Schuhen des Fischers« (1968, Regie: Michael Anderson). Anthony Quinn als Papst, im Zusammenspiel mit einem am Widerspruch von Ketzertum und Heiligkeit zugrunde gehenden Theologen, den Oskar Werner spielte. Die mutige Botschaft am Schluss: Der Papst gibt das Vermögen der Kirche an die Armen. Ein großer, ein erschütternder Film, dem man seiner überragenden Schauspieler wegen sogar seine sentimentalen Anflüge verzeiht. Überlebt ein Papst solche Handlungen? Gewöhnlich wird man wohl gar nicht erst in die engere Wahl gezogen als oberster Geschäftsführer der irdischen Angelegenheiten Gottes, wenn man derart romantisch-idealistische Neigungen offenbart.

Nun hat der in Südtirol geborene und in Rom aufgewachsene Nanni Moretti mit »Habemus Papam« (in der deutschen Verleihfassung mit dem infantilen Untertitel: »Ein Papst büxt aus«) das Sujet aufgegriffen. Morettis Filme aus den 90ern wie »Wasserball und Kommunismus« oder »Liebes Tagebuch« erschienen mir in ihrer essayistisch-persönlichen Erzählweise immer am überzeugendsten. Mit »Habemus Papam« kehrt er zu diesem Stil zurück - und das Ergebnis ist ganz und gar ungewöhnlich. Ein großartiger, ein todtrauriger ebenso wie ein beglückender Film!

Darin zu sehen: Michel Piccoli (Jahrgang 1925) in einer Rolle vergleichbar nur mit seinen Autorenfilm-Anfängen bei Jean-Luc Godard (»Die Verachtung«, 1963 mit Brigitte Bardot), schließlich bei Buñuel, Hitchcock oder in Ferreris »Das große Fressen«. Piccoli, Pariser Theaterschauspieler aus Überzeugung, ist zugleich eines der Gesichter des Weltkinos. Sein Kardinal Melville, auf den die Wahl beim Konklave in der Sixtinischen Kapelle fällt, ist ganz Partei: immer auf Seiten der Zögerer, der sich nicht zu Amt, Würde und Machtausübung Entschließenden. Moretti blickt gleich am Anfang, distanziert-kühl mit Sinn für das Allzumenschliche, in die Mechanik des Vatikans. Und wie sie sich alle fürchten vor diesem obersten Amt, das ihnen den letzten Rest Freiheit rauben würde! Moretti zeigt die Kardinäle beim Konklave wie eine überalterte Schulklasse. Hoffentlich komme ich jetzt nicht dran! So sitzen sie ängstlich in ihre Würde der roten Roben verschanzt über ihre Bänke gebeugt, grübelnd, welchen Namen sie aufschreiben sollen. Das war zu Zeiten der Borgias noch anders, da drängte jeder mit allen Mitteln zur Macht. Aber welche Macht hat ein Papst heute noch an der Spitze dieser anachronistischen mittelalterlichen Institution, deren Reform überfällig ist? Und was bliebe von ihr, wenn man einmal beginnt, die Hierarchien, Dogmen und mittelalterlichen Rituale zu reformieren? Nichts als der einzelne Mensch allein vor Gott - und das war bereits der Ausgangspunkt Luthers und seines Protestantismus. Darauf steuern nun Moretti und Piccoli ohne Umschweife zu. Welch eine unmenschliche Last ist es doch, die da einem einzelnen Menschen auf die Schultern gelegt wird, Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein. Wo es doch höchst unsicher ist, ob es Gott überhaupt gibt.

Melville ist ein gewiss nicht zufällig gewählter Name für den Kardinal, der nun Papst sein soll. Denn in Herman Melvilles Erzählung »Bartleby« sagt jener Bartleby bei allem, was man ihm anträgt, immer nur: »Ich möchte lieber nicht.« Aber Kardinal Melville hatte, als er gefragt wurde, ob er die Wahl annehme, denn doch einen Fehler gemacht und mit Ja geantwortet. Nun aber vermag er nicht, auf den Balkon hinauszutreten. Was soll er denn zu den Tausenden Wartenden sagen? Er kann es einfach nicht. Hat er Angst, ist er überfordert? Piccoli spielt einen alten Mann auf der Flucht vor einer Last, die er nicht tragen will. Da bleibt einer in seiner passiven Starre für alle äußeren Forderungen unerreichbar; innerlich sperrt sich alles gegen dieses Amt, das so gar nicht zu dem passt, was Glaube für ihn bedeutet.

Moretti entwickelt einen geradezu nietzscheanischen Blick auf die Szenerie. Zwischen »Hier stehe ich und kann nicht anders« und »Folge nicht mir, folge dir nach!« erleben wir die Tragikomödie einer Gewissensentscheidung. Moretti hat hier zwar nicht die Komödie gedreht, die der deutsche Untertitel törichterweise verheißt, aber ganz ohne Ironie mag er dann doch nicht auf die höchst unzeitgemäße Vatikan-Szenerie mit Schweizer Garde und Kardinalskollektiv blicken (schon komisch, diese Ansammlung von Rothemden). Eine abgeschottete Welt - und doch nicht aus der Welt.

Dem neuen Papst, den noch niemand zu Gesicht bekommen hat und der sich so beharrlich weigert zu funktionieren, wird ein Psychoanalytiker zur Seite gestellt - Nanni Moretti selbst, der sich gleich in der ersten Sitzung als Atheist bekennt. Aber er gilt nun mal als der Beste seines Fachs, seufzen die Kardinäle angesichts der Zumutungen einer säkularen Welt. Doch worüber reden mit einem depressiven Papst, zumal die Kardinäle omnipräsent sind - über das Sexualleben schon mal nicht, über unerfüllte Sehnsüchte erst recht nicht.

Schließlich läuft Melville einfach weg, taucht unter. Das wird sogar vor den Kardinälen verheimlicht, die nicht auseinandergehen können, solange der neue Papst nicht sein Amt angetreten hat. Der Psychoanalytiker organisiert derweil Volleyballturniere mit den Kardinälen - und diese Szenen treffen in jeder Nuance diese merkwürdig klerikale Existenzform. Wie viel weggesperrte Vitalität, wie viel Verbogenheit von Amts wegen! Und Moretti zeigt das mit zärtlicher Bosheit.

Das Ereignis des Films aber ist Michel Piccoli. Dabei hat Moretti ihn nicht ohne Probeaufnahmen besetzen wollen und noch lange überlegt, ob er der Richtige sei, als Piccoli längst zugesagt hatte. Dieser Schauspieler verkörpert in jeder Geste die Geschichte eines Nicht-Papstes. Worte, Mimik, Geste - alles scheint hier aus übergroßen Widerständen zu kommen. Piccoli, der bereits bei Kurt Maetzig Anfang der 50er Jahre in »Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse« einen französischen Kommunisten spielte, erweist sich nun als konsequenter Führungsverweigerer. Als Meister des Unterlassens lotet er einen Seelenausnahmezustand minutiös aus. Dieser Melville ist kein leichtfertiger Mensch, er will sich auch nicht vor einer Aufgabe drücken. Nein, aber er ist gerade dabei, seinen eigenen Weg zu gehen, dafür ist nicht mehr viel Zeit.

Moretti verleugnet auch diesmal nicht den politischen Regisseur, der er auch ist. Das pathetische Selbstbild von Linken (zu denen er sich zählt) ebenso wie von Katholiken in Italien unterläuft er dabei klug. Vielleicht hat ihn Obamas Wahlkampfslogan »Yes, we can« dazu inspiriert, diesen alten Mann zu porträtieren, der, vor der höchsten Würde und Verantwortung seines Lebens stehend, sich und der Welt eingesteht: »Ich kann nicht.«

Denn dieser antipäpstliche Papst hatte mit jeder Faser seines Körpers immer nur einen Lebenstraum (und der erinnert an Johannes Paul II.) - Schauspieler zu werden. Aber nicht er, seine Schwester wurde es. Dafür kennt er nun Tschechow mindestens so gut wie die Bibel. Es gäbe für ihn noch andere Rollen zu spielen, so weiß er nun, als ausgerechnet die eines Papstes. Und jetzt muss auch er sich entscheiden, wenn er wahrhaftig sein will und das Bild, was andere sich fälschlich von ihm gemacht haben, zerstören.

Wem er eine solche Haltung des offenen Machtverzichts empfiehlt, wurde Moretti auf einer Pressekonferenz gefragt. »Jedem«, antwortete er. Dann wäre auch Demut wieder mehr als bloß ein Wort.

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