Das Haus in der Hafenstraße

Im Januar 1996 brannte ein Asylbewerberheim in Lübeck - bis heute sind wichtige Fragen nicht beantwortet

  • Dieter Hanisch, Lübeck
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor nahezu 16 Jahren brannte das Asylbewerberheim in Lübecks Hafenstraße nieder, zehn Menschen starben. Noch immer sind nicht alle Fragen geklärt. Wolfgang Neskovic, damals Richter am Lübecker Landgericht und heute Bundestagsabgeordneter der LINKEN, spricht sich dafür aus, den Fall noch einmal neu aufzurollen.

In diesen Tagen rückt ein trauriger Tag in der jüngeren Geschichte der Stadt Lübeck wieder in den Blick der Öffentlichkeit: der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in der Hafenstraße am 18. Januar 1996, der zehn Menschen, darunter vier Kindern, das Leben kostete. Und noch immer kreisen etliche Fragen um das Thema.

Soll das Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Brandes wieder aufgenommen werden? Warum bekommt der Nigerianer Victor Atoe, der sich beim verheerenden Feuer in der Asylunterkunft aufgehalten hatte, kein Bleiberecht? Warum will die Stadt Lübeck entgegen ihrer seit dem Anschlag ausgeübten Praxis nun doch wieder eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende einrichten?

Spur nach Mecklenburg

Die Entwicklungen um die Zwickauer Neonazi-Zelle sorgen dafür, dass auch in der Hansestadt Lübeck nicht aufgeklärte Brandanschläge wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Dazu zählt in erster Linie der Fall aus der Hafenstraße. Aber auch an ein bis heute ungeklärtes Attentat auf die Lübecker Synagoge am 7. Mai 1995 erinnert man sich. Damals brannte ein benachbarter Schuppen ab.

War dieser abermalige Versuch, die Synagoge anzuzünden, womöglich eine provokante Antwort auf Urteile zum Brandanschlag auf die Synagoge vom 25. März 1994? Für diese Tat waren am 13. April 1995 vier rechtsradikal orientierte Männer im Alter von 19 bis 24 Jahren zu Haftstrafen von zweieinhalb bis viereinhalb Jahren verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft in Lübeck sieht keinen Handlungsbedarf, noch einmal zu ermitteln. Bezogen auf das Inferno der Hafenstraße sagte ein Sprecher der Behörde, es gebe keine neuen Erkenntnisse für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Der frühere Chefermittler Heinrich Wille hält Forderungen nach Überprüfung eines möglichen rechtsextremen Hintergrundes für »unseriös«, da die damaligen Ermittlungen zweifelsfrei ergeben hätten, dass das Feuer innerhalb des Hauses gelegt worden sei und nicht durch Einwirkung von außen verursacht wurde. Unter diesem Blickwinkel war seinerzeit Safwan Eid, ein libanesischer Bewohner der Unterkunft, auf der Anklagebank gelandet, er wurde jedoch zweimal in auch international beachteten Prozessen freigesprochen.

Wolfgang Neskovic, damals Richter am Lübecker Landgericht und heute Bundestagsabgeordneter der LINKEN, spricht sich dafür aus, den Fall noch einmal neu aufzurollen. Die Ermittler seien damals auf dem rechten Auge blind gewesen, lautet seine Bewertung. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine Spur zu vier jungen Männern aus Grevesmühlen in Mecklenburg führte, die sich in Tatortnähe aufhielten, Brandrückstände im Gesicht aufwiesen und sich teilweise sogar mit der Tat brüsteten.

Bleiberecht gefordert

Bis auf den heute 51-jährigen Nigerianers Atoe erhielten 1999 alle Überlebenden des Brandanschlages ein dauerhaftes Bleiberecht zugesprochen. Atoe rettete sein Leben damals nur durch einen Sprung aus dem Fenster, bei dem er sich Beinverletzungen zuzog. Vor wenigen Monaten saß er in Berlin in Abschiebehaft. Aus Protest startete er dort sogar einen kurzzeitigen Hungerstreik, um auf seine Situation aufmerksam zu machen. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß und hält sich im Kreis Ostholstein auf. Jetzt liegen seine Akten bei der Ausländerbehörde in Eutin zur erneuten Entscheidung.

Atoe hatte 1991 Asyl in Deutschland beantragt. Vier Jahre später wurde das Ersuchen abgelehnt. Zum Brandzeitpunkt hielt er sich als Besucher in der Hafenstraße auf, war dort aber nicht gemeldet - eine Tatsache, die auch auf andere Personen zutraf, denen dann aber aus humanitären Gründen der dauerhafte Aufenthalt erlaubt wurde. Noch im Mai 1996 überführte man Atoe zurück nach Nigeria. 1999 kehrte er zurück nach Deutschland, um sich sein beim Brandanschlag verletztes Bein weiter behandeln zu lassen. Seitdem ist Victor Atoe ein klassisches Beispiel für sogenannte Kettenduldungen, weil Nigerias Behörden sich für die erneute Ausstellung von für die Abschiebung notwendigen Papieren bislang als nicht zuständig erklärten. Die Humanistische Union fordert, auch Atoe ein Bleiberecht zu erteilen. In der jüngsten Lübecker Bürgerschaftssitzung wurde bei fünf Gegenstimmen des Wählerbündnisses Bürger für Lübeck sowie der Enthaltung von CDU und FDP eine Resolution verabschiedet, die sich dieser Forderung anschließt.

Auch Prominente wie etwa Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass unterstützen den Appell. Offenbar wird Atoe immer noch vorgehalten, während seines Asylverfahrens noch parallele Asylbegehren an anderen Orten verfolgt zu haben. Dafür ist er strafrechtlich nie belangt worden, als Straftatbestand sind diese Vorgänge zudem längst verjährt.

Ruine wurde abgerissen

Während seines letzten Aufenthaltes im Berliner Abschiebegefängnis attestierte ihm der dortige Seelsorger noch immer eine temporäre Traumatisierung durch die Erlebnisse in der Brandnacht.

Die Brandruine in der Lübecker Hafenstraße wurde im Jahr 1997 abgerissen. Inzwischen erinnert dort nur noch eine Gedenktafel an die Schreckensnacht. Nach dem Brand wurden in Lübeck Asylbewerber nur noch dezentral in Einzelwohnungen einquartiert, sofern es sich nicht um die landesweite Erstaufnahme handelte.

Jetzt soll es im Lübecker Stadtteil Moisling aber wieder eine Gemeinschaftsunterkunft mit acht Einheiten für maximal 35 Bewohner geben. Vor Ort, ohnehin ein sozialer Brennpunkt, wächst die Unruhe. Sogar die Angst vor aufkeimendem Rechtsextremismus wurde als Argument angeführt. Von Sozialdezernent Sven Schindler (SPD) ist zu hören, dass die ausgeguckte Einrichtung nur eine Übergangslösung sein soll, ehe die Betroffenen dezentral untergebracht werden.

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