Wenn Fett schmeckt

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Zeichnung: Chow Ming
Zeichnung: Chow Ming

Man sagt, der Geschmack sei der »kleine Bruder des Geruchs«: Wir können Tausende von Duftstoffen unterscheiden, aber nur wenige grundlegende Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig und bitter. Spezielle Rezeptoren in der Zunge (analytische Eiweiße) liefern die Signale, genau diese vier Geschmäcker zu identifizieren. Doch ist das alles? Nein!

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigten japanische Forscher, dass der Mensch auch eiweißreiche Kost eindeutig identifizieren kann. Diese Geschmacksrichtung bezeichneten sie als »umami« (»fleischig, herzhaft«). Da die zuständigen Rezeptoren auf zwei Aminosäuren (Glutaminsäure und Asparaginsäure) reagieren, sagen sie uns, dass wir einen besonders proteinreichen Bissen im Mund haben (z. B. Fleisch).

Aktuelle Forschungen eines Teams um Philippe Besnard von der Universität Dijon in Frankreich belegen: Ein Proteinrezeptor in den Sinneszellen der Zunge reagiert stark auf Fett. Unser Geschmackssinn erkennt also alle energieintensiven Bestandteile der Nahrung: süß für Kohlenhydrate, »umami« für Eiweiß und fettig für Fette und Öle.

Der biologische Sinn dieser drei »Prüfkriterien«? Sie signalisieren, welche Kost besonders energiereich ist, und machen sie uns buchstäblich »schmackhaft«. Das verleitet aber auch dazu, mehr als nötig zu essen. Als wir noch vom Jagen und Sammeln lebten und oft Hungerperioden überstehen mussten, war das ein Überlebensvorteil. Heute ist es jedoch ein Problem. Energiereiche Nahrung ist (in unseren Ländern!) im Überfluss vorhanden. Das rundet die Bäuche, besonders nach Festtagen.

Und wofür dienen die anderen Geschmacksrichtungen? Salzig sagt: Hier gibt es die für das reibungslose Funktionieren vieler Körperfunktionen erforderlichen Substanzen. Zu viel davon ist allerdings schädlich. Und so wenden wir uns zu Recht von einer versalzenen Suppe ab. Ähnlich bei bitter und sauer. Die meisten giftigen Pflanzen schmecken bitter, unreife Früchte sauer. Der Geschmackssinn schützt uns also vor Vergiftungen. Diese Schutzfunktion ist schon bei kleinen Kindern stark ausgeprägt. Bitter wird übrigens 100 000-fach besser wahrgenommen als süß. Auch die »Auflösung« ist höher: 25 Typen Bitter-Rezeptoren gegen nur einen für süß!

Die Kehrseite: Viele Kinder essen ungern Gemüse. Brokkoli, Spinat, Lauch enthalten Bitterstoffe. Zwar sind diese längst nicht so stark wie bei ungenießbaren Pflanzen, dennoch lösen sie in den Kindern Alarm aus. Umsichtige Eltern beginnen deshalb mit milden Arten, z. B. Möhren und Kürbis.

In vielen deutschen Haushalten wird recht salzig gewürzt. Doch Vorsicht: Je salziger die Kost, desto schwächer sind die anderen Nuancen wahrnehmbar. Wir haben das Gefühl, noch nicht genug zu haben, und essen mehr als nötig. Ich selbst habe mir abgewöhnt, meine leckeren chinesischen Dim Sum (gefüllte Teigbällchen, ähnlich russischen Pelmeni) in glutamathaltige und salzige Sojasauce zu tunken.

Der Appetit lässt sich auch mit Bitterem - Radicchio, Endivien oder Grapefruits - dämpfen. Der Clou: bittere Schokolade. Mehr Kakao, mehr Antioxidanzien - der Weihnachts-Tipp für Naschkatzen! Gibt's mit Chili - doch die Schärfe ist ein neues Thema ...

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