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»Bella Ciao« spielen wir immer

Die Modena City Ramblers über ihre Musik - und die besondere Geschichte der Region Emilia

  • Lesedauer: 7 Min.
Seit 20 Jahren machen die Modena City Ramblers Folk-Rock mit musikalischen und inhaltlichen Bezügen zur »roten Emilia« im Norden Italiens. Bei Konzerten singt das Publikum, die linke Faust erhoben, bei dem Partisanen-Lied »Bella Ciao« am lautesten mit. Katja Herzberg sprach mit dem Gitarristen Massimo Ghiacci (auf dem Foto rechts unten).
»Bella Ciao« spielen wir immer

nd: Die Modena City Ramblers spielen seit 20 Jahren auf italienischen und europäischen Bühnen. Was hat sich seit 1991 verändert?
Es hat sich wenig an der Seele der Gruppe verändert. Inhaltlich dominiert noch immer ein Bewusstsein für die Geschichte. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Geschichten von Menschen suchen wir aber immer auch nach Mechanismen, die aktuelle Realität besser zu verstehen.

Ihr spielt Folk-Rock. Ist das nicht ein bisschen traditionell für eine sich als emanzipatorisch verstehende Band?
Wir haben uns damals als Gruppe gefunden, die eine Leidenschaft für irische Musik hatte. Dort hatte die Musik ihren zusammenhaltenden Charakter noch nicht verloren, ihre Fähigkeit, eine Gemeinschaft zu kreieren. Wir wollten Musik machen, die ein Vehikel der Geschichten des Volkes in der Region ist, die aber auch universell wird durch Themen wie Migration, Antimilitarismus, Widerstand im Krieg und auch Liebesgeschichten. In Irland haben wir gesehen, dass eine einfache Musik alle Generationen ansprechen kann. Ich habe Punks erlebt, die »The Clash« hören, aber zusammen mit ihren Eltern auch traditionelle Musik - und sich dafür nicht schämen. Hier sind wir dann auf »Bella Ciao« gestoßen. Wenn man in der Emilia in die Geschichte zurückblickt, ist die Resistenza und eine Tradition des Kampfes und Leidens das erste, worauf man stößt. Von da an haben wir versucht, stets Bezüge zum Alten herzustellen und gleichzeitig das Alphabet des irischen Folks mit Einflüssen aus Rock, Punk und Cantautori zu verbinden.

Im Laufe der Jahre hat sich die Gruppe aber personell verändert. Welche Gründe gab es?
Manche haben sich nicht mehr auf diesem Niveau wohlgefühlt - wir müssen immerzu spielen, um uns unser Brot zu verdienen. Wir leben die Utopie, alles mit allen zu teilen, auf der finanziellen Ebene und der der Verantwortung. Das ist in einer künstlerischen Gemeinschaft nicht immer einfach.

Seid Ihr also als Kollektiv organisiert?
Nein, das nicht. Wegen der Finanzen haben wir eine juristische Gesellschaft gegründet. Mit Leuten, die erst später dazugekommen und noch nicht so lange dabei sind, haben wir eine Kooperationsvereinbarung. Aber für und vor unserem Publikum gibt es keine Unterschiede. Wir sind momentan eine Gruppe von acht Musikern. Das ist unsere Organisation. Ein paar von uns haben sich auch in der Lokalpolitik engagiert. Wir stehen der linken Bewegung nahe. Aber was wir am besten können, ist wahrscheinlich Musik machen.

Die Partisanen-Lieder, die Ihr auf mehreren CDs eingespielt habt, sind sie noch immer Teil Eures Konzert-Programms?
Das einzige Lied, das nie von unserer Set-Liste geflogen ist, ist »Bella Ciao«. Das spielen wir immer, weil wir uns sehr mit diesem Lied identifizieren. Die anderen Partisanen-Lieder spielen wir hauptsächlich auf Konzerten am 25. April, beim Fest der Befreiung. Aber eigentlich sind bei jedem Konzertprogramm zwei, drei von ihnen dabei. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Auftritte.

Inwiefern sind die Modena City Ramblers deshalb auch eine politische Gruppe?
Wenn man uns als politische Gruppe sehen möchte, dann muss das anders gemeint sein als etwa bei den Ska-Punk-Rockern von »Banda Bassotti«. Sie leben in Rom und sind Söhne der Arbeiterklasse. Wir kommen aus einer ganz anderen Welt. In Italien gibt es große Gegensätze zwischen den Regionen, was die sozialen Strukturen, Lebensstile und die Probleme angeht. Wir haben uns nicht dafür entschieden, eine politische Gruppe zu sein. Ein gewisses Maß an Militanz und Widerstand gab es hier in der Emilia Romagna immer. Es ist eher eine gesellschaftliche Frage. Ich komme aus einer bürgerlichen Familie. In dieser bin ich mit Werten wie Toleranz, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit groß geworden - all dies sollten meiner Meinung nach auch fundamentale Elemente einer linken Kultur sein. Eine Entscheidung für die Linke war erst fällig, als Berlusconi auf den Plan kam und er alle, die nicht rechts sind, als Kommunisten beschimpfte.

Was genau haben Berlusconi und seine Generation von Politikern getan?
Hier hat die PCd‘I 50 Jahre regiert und es wurden Strukturen eines gewissen Wohlstands aufgebaut. Als Berlusconi an die Macht kam, hat sich einiges verändert. Er hat das Schreckgespenst des Kommunismus an die Wand geworfen und eine Sprache benutzt, die gespalten hat. Oberflächlich gesehen, hat dies zu einer kulturellen Verwüstung geführt. Dafür sprechen auch die vielen Skandale, in die Berlusconi verwickelt ist. Wegen dieser Zuspitzung müssen sich die Menschen heute entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Obwohl das Leben in der Realität viel komplexer ist. Deshalb fällt es uns als Gruppe auch schwer zu sagen, dass wir an dieser oder jener Front stehen würden. Das liegt nicht in unserer Natur.

Hattet Ihr wegen Eurer nicht so radikalen Einstellung einmal Probleme in der linksautonomen Szene Italiens?
Unser Titel »Quarant'anni« (40 Jahre, Ü. d. A.) über die Bleiernen Jahre wurde kontrovers aufgenommen. In einem besetzten Haus wollten uns Leute, die dem bewaffneten Kampf nahe standen, nicht spielen lassen. Sie waren der Meinung, dass es keine »stragi rossi« (Massaker von Linken, Ü. d. A.) gab. Für uns war aber etwa die Ermordung von Aldo Moro ein Blutbad. Ja, linke Gruppen haben nie eine Bombe gelegt. Aber für uns ist der Begriff »strage« weiter gefasst. Er steht für eine bestimmte Zeit. Letztlich konnten wir doch spielen. Zehn Jahre später sind wir dort noch einmal aufgetreten. 10 000 Leute sind gekommen und das Centro Sociale hat einen Haufen Geld eingenommen. So wandeln sich die Orte und die Menschen, die diese Läden betreiben.

Wie ist Eure Beziehung zur linken Szene hier in der Provinzhauptstadt Reggio nell'Emilia?
Die Stadt organisiert viele Veranstaltungen wie ein öffentliches Kino, Bibliotheken, öffentliche Open-Air-Konzerte oder die Case Cantoniere. Hier arbeitet die Stadt sehr daran, die Kommune zusammenzuhalten.

Inwiefern ist das auf die Geschichte der Region zurückzuführen?
Die kommunistische Partei hat hier 50 Jahre lang regiert. Auch die 68er waren in der Region sehr bedeutsam. In Reggio haben die klandestinen Organisationen wie die Roten Brigaden mehr Unterstützung erfahren als anderswo. Ich bin 1967 geboren und kenne diese Leute nicht persönlich, aber ich kann mich an die Atmosphäre dieser politisierten Stadt erinnern. Ich will so eine Zeit wie im Krieg oder in den Bleiernen Jahren nicht wieder erleben, aber die derzeitigen Machthaber können leider machen, was sie wollen. Es gibt keine Opposition mehr. Die einzige Rettung bestünde darin, sich auf das kulturelle Erbe der Resistenza zu besinnen. Es braucht wieder mehr moralische Härte. Zur Zeit regieren Korruption und Klientelpolitik, auch bei den Linken.

Sind die Emilia Romagna, Toskana und die Marken also keine »roten« Regionen mehr?
Ich würde sagen, sie sind rosa. Die Parteigläubigkeit gibt es nicht mehr. Vielleicht ist das auch richtig so. Aber der Keim des Anstands ist geblieben - linke Werte. Um die wegzubekommen, braucht es eine krasse Verrohung. Ich denke aber nicht, dass die Menschen das hier wollen. Ein gewisser Grad an Diensten und Infrastruktur, wie Kindergärten und Kultureinrichtungen, bleibt erhalten. Das werden auch Berlusconi und die Lega Nord nicht ändern.

Besteht ein Problem der italienischen Gesellschaft nicht auch im Umgang mit der Geschichte?
Sicher. Während in Deutschland mit der Geschichte umgegangen wird, gab es in Italien nie einen Prozess der Anerkennung dessen, was passiert ist. Hier in den Regionen der Resistenza wurde immer nur die Befreiung gefeiert. Es wird nicht gefragt, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Es wird so getan, als wären vor dem Krieg alle in der Emilia Antifaschisten gewesen. So wird die Geschichte mystifiziert und zum Instrument der Politik. Dank Berlusconi ist es heute so, dass sofort von Kommunismus die Rede ist, wenn man von der Resistenza spricht. Genauso wird die Rechtfertigung und Verherrlichung des Faschismus betrieben. Obwohl dies ein Straftatbestand ist. Dann wird argumentiert, mit der Resistenza würde der Kommunismus verherrlicht, den es in Russland als Stalinismus gab und der deswegen zu verurteilen sei. Aber die beiden Dinge sind eben nicht miteinander zu vergleichen. In Sachen Geschichtsaufarbeitung muss in Italien noch viel passieren.

Informationen und Hörproben der Modena City Ramblers unter www.ramblers.it. Weitere Informationen zur Geschichtsaufarbeitung in der Emilia sowie das ausführliche Interview: Internet-Dossier - neues-deutschland.de/roteemilia.

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