Denken heißt Überschreiten
Zum 25. Todestag von Ernst Bloch
»Das Prinzip Hoffnung« heißt sein Hauptwerk. Leider wird diese Bezeichnung gegenwärtig in Medien in der plattesten Weise gebraucht und so zu Schanden geritten. Dass unbegründetes, nebulöses, passives Hoffen und Harren manchen zum Narren hält - diese Volksweisheit hätte Bloch keineswegs abgelehnt. Ihm ging es um begriffene Hoffnung, um tätiges Vordringen in Noch-Nicht-Bewusstes, Noch-Nicht-Seiendes, um Überschreiten des Gegebenen. »Denken heißt Überschreiten« ist einer seiner Kernsätze. Der ursprüngliche Titel des genannten Werkes lautete: »Träume von einer besseren Welt«. Es hätte auch »konkrete Utopie« heißen können.
Blochs Gesamtwerk, das sicher eines der umfassendsten und tiefgründigsten ist, das philosophisches Denken im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist die Entfaltung und Entwicklung des Inhaltes des Begriffs »konkrete Utopie«. Bloch verwendet diesen Begriff in Abgrenzung zu abstrakter Utopie. Die Utopien vor Bloch hatten selbstverständlich die Kritik des Bestehenden zur Voraussetzung. Ihrer theoretischen Struktur nach verblieben sie aber im abstrakten Gegensatz von Sein und Sollen, d.h. der kritikwürdigen Wirklichkeit wurden Wunschbilder entgegengestellt. In der Nachfolge von Hegel und Marx löst Bloch den Gegensatz, der die alten Utopien charakterisierte, dergestalt auf, dass er die im Prozess angelegten und neu entstehenden Möglichkeiten bedenkt und zur Grundlage seines Utopie-Begriffs macht. Konkrete Utopie schießt nicht ins Blaue hinein. Sie ist auf Realisierung angelegt.
Sich auf die Schrift von Friedrich Engels »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« stützend, machten manche Marxisten - ich habe einer solchen Auffassung auch angehangen - Bloch zum Vorwurf, dass er von der Wissenschaft zur Utopie zurückkehre. Nun passt aber eine Rückkehr nicht zu einem, der den Satz prägte: »Das Unsere liegt vorn.« Der Vorwurf ist auch unberechtigt. Denn was Engels historisch-kritisch analysiert, bezieht sich auf die abstrakte Utopie, nicht aber auf konkrete. Im methodischen Herangehen stimmt Bloch weitgehend mit dem von Hegel und Marx überein. Bloch hat sich gern als Prozessdenker gesehen. Das waren Hegel und Marx auch. Die im Prozess liegenden Möglichkeiten zu erkennen, ist Blochs Anliegen. Das aber war wohl auch das Anliegen von Marx. Bloch wollte also keineswegs zur alten Utopie zurückkehren, den Marxismus nach vorn zu öffnen war seine Intention.
Bloch, der vor 25 Jahren im Alter von 93 Jahren in Tübingen starb, ging es letztlich um Beförderung der Menschlichkeit. Er schrieb: »Entfremdung also, Entmenschlichung, dies Zur-Ware-Werden aller Menschen und Dinge, wie es der Kapitalismus im steigenden Maße gebracht hat: Das ist bei Marx der alte Feind, der im Kapitalismus, als Kapitalismus siegte wie nie zuvor. Indem der Marxismus überhaupt nichts anderes ist als Kampf gegen die kapitalistisch kulminierende Entmenschlichung... ergibt sich, dass echter Marxismus seinem Antrieb wie Klassenkampf wie Zielinhalt nach nichts anderes ist, sein kann, sein wird als Beförderung der Menschlichkeit.«
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und die PDS-Fraktion laden am 30. August in Leipzig zu einer Gedenkveranstaltung für Ernst Bloch im Plenarratssaal im Neuen Rathaus (Beginn: 17 Uhr) ein.
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