Genosse Mediziner

Der Zusammenschluss norddeutscher Ärzte strebt eine optimale regionale Versorgung ihrer Patienten an

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 5 Min.
Genossenschaften und Gesundheit: Das Genossenschaftswesen ist bunt und vielfältig. Auch Mediziner haben die Organisationsform für sich entdeckt. Die experimend- Seite widmet sich diese Woche einer seit über zehn Jahren existierenden Ärztegenossenschaft in Norddeutschland. Dieses Projekt bietet mehr als den jeweils üblichen Standard in der medizinischen Versorgung.
»Unter dem Strich profitiert der Patient.« Thomas Rampoldt ist Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord. 2250 Mitglieder zählt der Verband, der die politische und wirtschaftliche Kraft der freien Ärzteschaft für eine menschenwürdige Medizin bündeln will.
»Unter dem Strich profitiert der Patient.« Thomas Rampoldt ist Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord. 2250 Mitglieder zählt der Verband, der die politische und wirtschaftliche Kraft der freien Ärzteschaft für eine menschenwürdige Medizin bündeln will.

Letztlich war es Friedrich Wilhelm Raiffeisen und dessen Einkaufsgenossenschaft im 19. Jahrhundert, der viele Jahre später die Blaupause für schleswig-holsteinische Ärzte geliefert hat. Sie haben sich im Jahr 2000 zur bundesweit ersten flächendeckenden und fachübergreifenden Ärztegenossenschaft zusammengeschlossen.

Solidarität und gemeinsame Schlagkraft waren für rund 1600 niedergelassene Ärzte die Triebfeder für die Abspaltung von der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Mediziner aus Schleswig-Holstein sahen vor elfeinhalb Jahren, dass sich die freiberufliche Selbstverwaltung im Gesundheitswesen einem immer stärker werdenden wettbewerblichen Druck stellen sollte und aus Ärztesicht Schaden zu nehmen drohte. Sie entschieden sich statt der Rechtsform »öffentlich rechtliche Anstalt« zu einem genossenschaftlichen Zusammenschluss. Inzwischen sind Ärzte aus Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern hinzugekommen. Der auf etwa 2250 Mitglieder angewachsene Verband nennt sich nun Ärztegenossenschaft Nord.

Die Idee hat sich weiter ausgebreitet: 2005 wurde der Bundesverband der Ärztegenossenschaften gegründet und zählt mittlerweile rund 15 000 Mitglieder mit elf regionalen Ablegern. Der Großteil der Aktivitäten in den basisdemokratischen Interessenverbänden findet auf regionaler Ebene statt. Zur alltäglichen Arbeit gehören die Informationsvermittlung in die eigene Mitgliedschaft, der Aufbau von Netzwerken und der Austausch mit anderen Stellen und Institutionen im Gesundheitswesen.

Die Fäden in der Zentrale der Ärztegenossenschaft Nord in Bad Segeberg zieht Geschäftsführer Thomas Rampoldt. Er ist das berühmte Mädchen für alles, wenn es um die interne Kommunikation zwischen Mitgliedern, Vorstand und Aufsichtsrat geht. Dazu gesellen sich Kontakte auf politischer Ebene, aber auch zu Krankenkassen und zur Pharmaindustrie. »Wir sind mittlerweile ein von allen Seiten ernst genommener Gesprächspartner«, bestätigt Rampoldt.

Politisch einmischen mit öffentlichem Protest

Selbstverständlich agiert die Ärztegenossenschaft überparteilich, mischt sich aber in verbandspolitische Diskussionen ein. Und wenn ein vermeintliches Unheil im Gesetzgebungsprozess droht, setzt der Verband schon mal einen offenen Brief ans Kanzleramt auf, oder wenn eine vermurkste Honorarreform ins Haus steht, rufen die Ärzte kurzerhand zum flächendeckenden Protest auf der Straße beziehungsweise gar zu befristeten Praxisstreiks auf.

Die eigentliche Stimme des Verbands wird dabei durch Vorstandssprecher Klaus Bittmann verkörpert. Sein Wort hat Gewicht. Daher verfolgt man auch andernorts genau, was hier im Norden kommuniziert wird. Etwa die Botschaft, dass vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die einzig Erfolg versprechende strukturelle Zukunft in Ärztezentren und Netzwerken liegt - Schleswig-Holstein nimmt diesbezüglich im bundesweiten Vergleich schon eine Vorreiterrolle ein. Bei der Praxisform des idyllischen Landarztes aus dem vorabendlichen TV-Programm handelt es sich nämlich um eine aussterbende Spezies. »Das Drehen an den großen Schrauben zur Netzwerkbildung im ärztlichen Bereich funktioniert schon ganz gut. Jetzt drängen wir ebenso darauf, an den kleinen Schrauben zu drehen, die da heißen Einbindung von Reha- und Pflegeeinrichtungen«, sagt Rampoldt. Der 53-Jährige plädiert dafür, erst einmal Verträge der integrativen Versorgung, also der Sektoren übergreifenden Behandlung (ambulant, stationär und Reha), in realisierbare Formen umzusetzen, ehe man sie in Bausch und Bogen verdammt.

An der Bereitschaft, innovative Ideen zu kreieren oder umzusetzen, mangelt es seitens der Genossenschaft nicht. Wenn in ländlichen Regionen seit vielen Jahren Fahrbüchereien, rollende Kaufmannsläden und sogar Bankbusse unterwegs sind, wenn mobile Pflegedienste gar nicht mehr wegzudenken sind, dann ist in Kürze auch die Zeit für ein sogenanntes Doc-Mobil gekommen. Dort, wo es partout nicht gelingt, die Versorgungsstruktur aufrechtzuerhalten, könnte eine fahrende Praxis solch eine Lücke schließen. Derzeit laufen diesbezügliche Gespräche mit dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium.

Die Genossenschaft als Dachorganisation nimmt den Ärzten administrative Aufgaben ab. Betriebswirtschaftliche Beratung, Förderung und Optimierung des Praxisalltags durch Qualitätsmanagement, EDV-Schulung, Know-how-Vermittlung in Sachen Software oder das Erstellen einer Internetseite sind entsprechende Dienstleistungen. Der Urologe Axel Schroeder aus Neumünster, zugleich Vorstandsmitglied der Ärztegenossenschaft, ergänzt: »Der gemeinsame Einkauf sowie der Bereich Fort- und Weiterbildung sind klare Vorteile, die mir direkt zugutekommen.« In 1300 Praxen wirken zudem sogenannte Dialogpartnerinnen, die die Rolle des Bindeglieds zwischen Genossenschaft, Praxis und niedergelassenem Arzt ausüben.

Doch schon längst ist die Ärztegenossenschaft nicht mehr nur ein reiner Zusammenschluss mit dem Zweck, eine kostengünstigere Einkaufsgemeinschaft zu bilden oder Versicherungsvorteile zu nutzen. Ein Hauptaugenmerk hat sich in den vergangenen Jahren darauf gerichtet, unbudgetierte Spezial- und Selektivverträge mit Krankenkassen abzuschließen. Besonders Präventionsmaßnahmen stehen im Mittelpunkt. Eines der in diesem Rahmen in Kooperation mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und dem Landesverband Nord-West der Betriebskrankenkassen aufgelegten Erfolgsprogramme trägt den Namen »Starke Kids«. Mittlerweile haben in den vergangenen drei Jahren mehr als 10 000 Kinder aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern daran teilgenommen. »Es handelt sich hier um sinnvolle Zusatzleistungen«, ist Kinderarzt Dieter Hefke aus Bad Bramstedt überzeugt.

Ein anderes Beispiel für einen Sondervertrag ist die mit der Techniker Krankenkasse und dem Berufsverband der Frauenärzte geschlossene Vereinbarung unter dem Titel »Babyfocus«. Dort sind für die Schwangerschaftszeit zusätzliche Serviceleistungen festgeschrieben, die über die übliche Regelversorgung hinausgehen.

Die Ärztegenossenschaft, die auch die Gründung fachspezifischer Zusammenschlüsse wie der Augenärzte oder der niedergelassenen Urologen gefördert hat, sieht die Anliegen ihrer Zunft in Übereinstimmung mit denen der Patienten wie etwa die freie Arztwahl und die Therapiefreiheit. »Auch bei neuen Vertragsmöglichkeiten profitiert unter dem Strich der Patient«, betont Rampoldt, etwa durch die Möglichkeit ambulanter Operationen. Und zum Vorteil für den Erkrankten sei nach seinen Worten auch das Eintreten der Ärztegenossenschaft nach einer optimalen regionalen Maximalversorgung.

Erträge fließen in die Solidargemeinschaft

Damit der genossenschaftliche Apparat sich wirtschaftlich selbst trägt, arbeiten drei Töchterunternehmen unter dem gemeinsamen Dach. Neben der Ärztedienstleistungsgesellschaft mbH & Co. KG sind dies noch die Mediageno Verlags GmbH sowie die Q-Pharm AG. Das Triumvirat ist gewinnorientiert ausgerichtet, doch Provisionen und erwirtschaftete Erträge fließen direkt wieder in die Verbesserung der genossenschaftlichen Struktur. Besonders der Q-Pharm-Zweig ist als eigenes Arzneimittelmanagement innerhalb der Ärztegenossenschaft nicht mehr wegzudenken. Dabei gehören verschreibungspflichtige Generika zum Sortiment, die jeweils im untersten Preissegment angesiedelt sind. Das ist nur möglich, weil die Q-Pharm auf die sonst in der Pharmabranche üblichen Außendienstaktivitäten, Werbegeschenke und Kongresspräsentationen verzichtet. Mit dem Angebot werden 80 Prozent der kostenträchtigen Dauerverordnungen nicht nur im hausärztlichen Bereich abgedeckt. Diese Medikamentenpalette schont ohne qualitative Abstriche das stets strapazierte Budget der Ärzte.

»Letztlich haben wir uns Qualitätssicherung auf unsere Fahnen geschrieben«, unterstreicht Vorstandsmitglied Schroeder. Wirtschaftlichkeit in der Solidargemeinschaft spielt da genau so eine große Rolle wie Verlässlichkeit. Für beides sorgt auch die genossenschaftliche Ausrichtung.

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