»Die Regierung rennt voran«

Verurteilung Syriens durch UNO-Plenum kreuzt sich mit Reformvorschlägen des Assad-Regimes

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.
137 der 192 Mitgliedsstaaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen haben nach mehrtägiger Debatte eine Resolution zur Lage in Syrien angenommen.

Die nicht bindende Resolution entspricht dem Resolutionstext, der im UNO-Sicherheitsrat vor wenigen Tagen an einem Veto Russlands und Chinas gescheitert war. 12 Staaten, darunter Russland, Iran, Kuba und China, lehnten den Text ab. 17 Länder enthielten sich. 26 Staaten hatten an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Der von Katar und Saudi Arabien im Namen der Arabischen Liga vorgelegte Text wiederholt die Forderungen des 1. Arabischen Aktionsplans, den Syrien am 2. November 2011 unterzeichnet hatte. Die Regierung wird aufgefordert, Angriffe auf Zivilisten und Demonstranten unverzüglich zu stoppen und das Militär in die Kasernen zu holen. Auch bewaffnete Gruppen sollen ihre Angriffe einstellen. Zugleich wird der 2. Arabische Aktionsplan unterstützt, der die Machtübergabe von Präsident Baschar al-Assad an einen Stellvertreter fordert, um den Übergangsprozess einzuleiten. Außerdem soll ein UN-Sonderbeauftragter für Syrien ernannt werden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von einem »Zeichen der Solidarität mit dem syrischen Volk und der Verurteilung der Gewalt des Assad-Regimes«. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor erklärt, Deutschland werde sich für weitere Sanktionen gegen Syrien einsetzen. Der iranische UN-Botschafter warnte davor, dass die Resolution die Krise in Syrien verschärfen könne, »mit allen Auswirkungen für die gesamte Region«. Syriens Botschafter Baschar al-Jaafari kritisierte die einseitige Verurteilung Syriens und warf der Arabischen Liga vor, sich von den »Westmächten ausnutzen« zu lassen, die den Konflikt in Syrien »internationalisieren« wollten.

Gruppen der Auslandsopposition berichteten derweil über »die schwersten Zerstörungen in den vergangenen 14 Tagen« in der Stadt Homs. Die Angriffe hätten unmittelbar nach der Entscheidung des UN-Plenums dramatische Ausmaße angenommen, hieß es. Der Syrische Rote Halbmond hatte vor wenigen Tagen eine große Menge (vier Lastwagen) Lebensmittel und Medizin in die umkämpften Viertel von Homs, Baba Amr und Khaldiye, gebracht.

Diplomatische Quellen in Damaskus bewerten das Vorgehen der syrischen Armee weiter als zögerlich. Würden die Truppen tatsächlich die Waffengewalt anwenden, die ihnen nachgesagt wird, wären die betroffenen Viertel längst eingenommen, sagte ein Gesprächspartner der Autorin, der um Anonymität bat. Die Behörden wiederholten, die Armee gehe gegen bewaffnete Gruppen und nicht gegen Demonstranten vor. Angesichts der zunehmenden Gewalt sind friedliche Proteste deutlich zurückgegangen. Am Freitag wurde die Beerdigung von 30 Soldaten und Sicherheitskräften gemeldet, die bei Einsätzen getötet worden waren.

Neben der Sorge um die bewaffneten Auseinandersetzungen bestimmt der Entwurf einer neuen Verfassung die Diskussion in Damaskus. Darüber soll in einem Referendum am 26. Februar entschieden werden. Laut einer Radioumfrage lehnt es eine Mehrheit von 60 Prozent ab, zum jetzigen Zeitpunkt über die Verfassung zu entscheiden. Im Gespräch mit der Autorin sagten Syrer, sie hielten es für besser, erst ein neues Parlament zu wählen und dann über eine neue Verfassung zu entscheiden. »Die Regierung rennt voran, um zu zeigen, dass sie Reformen will«, sagte ein Gesprächspartner. Die Opposition und ihre Anhänger würden die Abstimmung sicher boykottieren. Er werde dennoch für die Verfassung stimmen, denn sie sei »völlig anders als die, die wir bisher hatten«. Neben dem Wegfall von Artikel 8, der die herausragende Rolle der Baath-Partei festschrieb, sei für ihn Artikel 50 das Wichtigste: »Syrien ist ein Rechtsstaat«, heiße es darin. Niemand könne mehr willkürlich verhaftet oder verfolgt werden, die neue Verfassung sehe ein Mehrparteiensystem und eine begrenzte Amtszeit für den Präsidenten vor.

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