Der Super-Gauck

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.

Goethe war ja auch nicht von Pappe. Doch wenn er zu einer Dichterlesung erschien, passierte nur herzlich wenig. Er langte lässig in seine Aktentasche, zog den »Faust« raus, setzte die Lesebrille auf, las zwei Stunden lang was vor und ritt wieder nach Hause. Wenn dagegen Joachim Gauck aus seinem Hauptwerk liest, ist Gefahr im Verzug, dann ist Winter im Sommer, Frühling im Herbst und höchste Alarmstufe. In Fürth reiste er am vergangenen Freitag mit Bodygards an, einer Art Prätorianergarde, der ich nicht im Dunkeln begegnen möchte. Die Einlasskontrolle aber war noch verbesserungsfähig; nicht einmal Nacktscanner kamen zum Einsatz. Warum eigentlich nicht?

Das eine muss man Gauck lassen: Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Die Kanzlerin persönlich würdigte 2010 seinen 70. Geburtstag mit einer Laudatio. Sie sei stolz auf die gemeinsame Ostbiografie, sagte sie, und auf den Mut zur friedlichen Revolution … Maliziös lächelnd, doch hart in der Sache erwähnte der Jubilar Merkels Karriere in der FDJ: »Aber man musste, liebe Frau Bundeskanzlerin, nicht unbedingt Sekretärin für Agitation und Propaganda werden.« Ein frecher Hund!

Zum Glück ist unsere Kanzlerin nicht nachtragend … Doch sie vergisst auch nichts! Neulich bei der Kandidatenkrönung hat sie ihn zunächst nicht gewollt. Den? Niemals! Nur über meine Leiche! Unversöhnlich gab sie für ihre CDU den Schlachtruf aus: »Eins ist klar, Gauck wird's nicht!« Doch seit dem Atomausstieg meint sie, sie schulde der Geschichte wenigstens alle fünf Minuten eine ihrer jähen Wendungen, darum wurde Gauck es dann doch.

Und schon ging lang und breit in Wort und Schrift das endlose Gesülze los: über den neuen Präsidenten der Herzen, den reisenden Demokratielehrer, seine Liebe zur Freiheit, seine geistige Nähe zu Sarrazin und die Nähe Sarrazins zu Gauck, Zitat: »Ich schätze Gauck sehr.« Es fehlte nicht mal das tolle Fotomotiv aus den Tagen der »Causa Wulff«, die Szene mit den fantastischen Drei: Carsten Maschmeyer, Veronica Ferres, in der Mitte aber zur Abwechslung nicht Wulff, sondern der sieghaft in die Kamera feixende Super-Gauck. Wie so viele andere Betrachter hatte auch ich das Bild zunächst für eine Fälschung gehalten, für eine satirische Fotomontage, aber nein, es war echt, echter geht's gar nicht. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, große noch viel lieber - so deutet Transparency International die Botschaft des Schnappschusses.

Niedriglöhner aber, Aufstocker und Hartzis müssen jetzt sehr stark sein. Außer der Arschkarte haben sie vom künftigen Herrn auf Schloss Bellevue nichts zu erwarten. Nach eigenem Bekenntnis ist er politisch nicht nur links, sondern auch liberal und vor allem konservativ und fand es schon vor Jahren »töricht«, dass »der Protest gegen Sozialreformen unter dem Namen Montagsdemonstrationen stattfand«. Dass viele Menschen mit Hartz IV auf die Rutsche in die Armut geraten, hat ihn bislang nicht öffentlich hörbar empört. Und es ist ihm piepegal, dass sogar Peter Hartz, der Namenspatron, das »Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« am liebsten verleugnen möchte. Noch heute fangen, wenn der Name Hartz fällt, Mütter an zu weinen, und die Kinder verstecken ihre Sparschweinchen. »Hieße ich Leutheusser-Schnarrenberger«, argumentiert Peter Hartz, »wäre mir dieses Schicksal erspart geblieben.«

Die deutsche Presse aber warnt besorgt vor der Machtübernahme durch den Osten. Die »ZEIT« schreibt, Merkel und Gauck, »lange eingemauert in einer Diktatur«, hätten diese »erfolgreich gestürzt«. Die beiden »stehen letztlich für eine Eroberung des Westens durch den Osten«. So isses: Merkel hat den Schröder abgelöst und Gauck den Wulff. Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, dass Achim Menzel den Thomas Gottschalk ersetzt, Michael Ballack den FC Bayern übernimmt und Egon Krenz die Not leidende FDP.

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