Jedes siebente Kind lebt von Hartz IV

Trotz sinkender Arbeitslosigkeit bleibt die Armutsquote beinahe unverändert

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Arm trotz Aufschwungs: Eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands belegt, dass die Zahl von Kindern in Hartz IV auf hohem Niveau verharrt. Bundesweit ist demnach jedes siebente, im Osten gar jedes vierte Kind auf Sozialgeld angewiesen.
Kostenloses Mittagessen für Kinder in Berlin-Hellersdorf.
Kostenloses Mittagessen für Kinder in Berlin-Hellersdorf.

»So wenige Arbeitslose gab es zuletzt vor 21 Jahren«, jubeln heute viele Zeitungen. Grund für die Euphorie der Blattmacher sind aktuelle Zahlen vom Arbeitsmarkt, der so gut dastehe »wie seit Jahrzehnten nicht mehr«. Die offizielle Arbeitslosenquote lag im Februar bei 7,4 Prozent und damit um 0,5 Prozentpunkte unter der Marke vom Februar 2011. Die blätterübergreifende Freude wird aber vom Paritätischen Gesamtverband gestört. In einer am Mittwoch veröffentlichten Studie warnt der Sozialverband, dass die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bei den Kindern aus Hartz-IV-Familien kaum ankomme. Während die Arbeitslosenquote um mehr als ein Viertel zurückging, sank die der auf Hartz IV angewiesenen Kinder nur um knapp sieben Prozent. »Faktisch hat sich an der Armutsbetroffenheit von Kindern in Deutschland über die vergangenen Jahre wenig geändert«, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, gestern in Berlin. Seit der Einführung von Hartz IV verharre der Anteil armer Kinder bundesweit auf gleichbleibend hohem Niveau: Jedes siebte Kind unter 15 Jahre lebe von Hartz IV, in Ostdeutschland sogar jedes vierte, betonte Schneider.

Insbesondere die Entwicklung im Ruhrgebiet bereitet dem Verband große Sorgen. Im ehemaligen Kohlerevier steige die Kinderarmut seit Jahren an. »Die Hartz-IV-Quote im Revier liegt mit 25,6 Prozent mittlerweile höher als in Ostdeutschland, Gelsenkirchen steht mit einer Quote von 34,3 Prozent schlechter da als Berlin«, rechnete Schneider vor. Katastrophal sei die Entwicklung in Städten wie Mülheim oder Hamm: Innerhalb von nur fünf Jahren nahm die Kinderarmut hier um 48 Prozent zu. Schneider nannte diesen Trend einen »armutspolitischen Erdrutsch«, der nicht länger ignoriert werden dürfe.

Wie die Studie belegt, sind kinderreiche Familien und Alleinerziehende besonders armutsgefährdet - und zwar unabhängig von Wohnort oder wirtschaftlichem Umfeld. Selbst im wohlhabenden Baden-Württemberg lebt jede dritte Alleinerziehende mit ihren Kindern von Hartz IV.

Kein gutes Haar ließ Schneider in diesem Zusammenhang an der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung: »Durch die aktuellen Kürzungen drohen insbesondere auch Alleinerziehende und ihre Kinder zu Opfern einer neuen Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik zu werden.« Die Hälfte der Frauen habe keinen Berufsabschluss. »Ohne passgenaue Hilfen bei der Qualifizierung und ohne öffentlich geförderte Beschäftigungsangebote wird man den meisten Alleinerziehenden im Hartz-IV-Bezug nicht helfen können«, meinte Schneider. Er forderte neben einer Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik auch eine deutliche Erhöhung der Kinderregelsätze. Derzeit erhalten sie - je nach Alter gestaffelt - zwischen 219 und 287 Euro pro Monat.

Wie die Studie auch zeigt, hat die Zahl armer Kinder in Ostdeutschland seit 2006 stärker abgenommen als im Westen. Die Quote ist von 30,5 auf 24,1 Prozent gesunken. Am deutlichsten fiel das positive Minus in Thüringen aus. Kleiner Wermutstropfen: Der Rückgang im Osten verdankt sich vor allem dem starken Geburtenrückgang.

Im Dezember hatte die Bundesanstalt für Arbeit versucht, den demografischen Knick zu einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik umzudeuten. So lag die Anzahl der Hartz-IV-Kinder Ende 2011 mit 1,6 Millionen Betroffenen um rund 280 000 unter der Zahl von 2006. Allerdings war im selben Zeitraum die Gesamtkinderzahl deutlich zurückgegangen. Der Anteil armer Kinder hat sich deshalb kaum verändert.

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