Nur eine Reform bringt Mobilität voran

  • Werner Reh
  • Lesedauer: 4 Min.
Werner Reh ist Leiter Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).
Werner Reh ist Leiter Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Soll die Pendlerpauschale erhöht werden? Nein. Denn das wäre genau das falsche Signal. Die Menschen würden sich nicht auf steigende Mobilitätskosten einstellen, den Arbeitgebern wäre es weiterhin egal, wie ihre Arbeitnehmer auch an entlegene Betriebsstandorte kommen, die Politik würde die Staatsverschuldung weiter hochtreiben. Die Pendlerpauschale lockt uns in eine Falle.

Was ADAC, FDP und Andere in populistischer Absicht fordern, hilft Niemandem. Was wir brauchen, ist eine grundlegende Reform der Pendler- bzw. der Entfernungspauschale.

Die heutige Pendlerpauschale von 30 Cent pro Entfernungskilometer ist zutiefst unsozial: Wer täglich 30 km mit dem Auto pendelt und viel verdient, kann sein zu versteuerndes Einkommen um 2070 Euro mindern und bekommt dafür, wenn er einen Steuersatz von 42% hat, 870 Euro erstattet. Wer die gleiche Strecke pendelt, aber nur einen Steuersatz von 15% hat, kann zwar ebenfalls 2070 Euro absetzen, bekommt nur 310 Euro erstattet. Wer als Alleinstehender ein zu versteuerndes Einkommen von unter 8000 Euro im Jahr verdient, geht völlig leer aus. Aber Geringverdiener haben ähnlich hohe Kosten für die Fahrt zu ihrer Arbeitsstätte.

Die heutige Pendlerpauschale setzt ökologisch und siedlungspolitisch die falschen Impulse. Selbst Wohnortwechsel werden heute nicht genutzt, näher an den Arbeitsplatz zu ziehen. Im Gegenteil: Die Arbeitswege werden sogar immer länger. Über 100 ha Flächen werden pro Tag neu versiegelt, die Landschaft wird zersiedelt. Der Durchschnittspendler setzt auf das Prinzip Hoffnung und übersieht, dass er zwar große Beträge absetzen kann, aber nur wenig in seine Tasche zurückfließt

2008 scheiterte die Bundesregierung beim Versuch, das vor allem in angelsächsischen Ländern etablierte Werkstorprinzip einzuführen und die Pendlerpauschale von km 1 bis 20 abzuschaffen, am Bundesverfassungsgericht. Der damalige Bundesfinanzminister hielt es nicht für nötig, die Gesetzesnovelle mit ökologischen, siedlungspolitischen oder verkehrspolitischen Zielsetzungen zu verbinden. Folge war die Wiedereinführung der Entfernungspauschale ab dem ersten Entfernungs-Kilometer. In diesem Urteil knüpfte das höchste deutsche Gericht die Abschaffung der Entfernungspauschale an außerordentlich hohe Anforderungen. Eine erneute Einführung des Werkstorprinzips ist deshalb keine realistische politische Handlungsoption mehr.

Der BUND hat schon vor dem Novellierungsversuch 2006 das Alternativmodell einer Pendlerzulage entwickelt. Die Pendlerzulage würde beim Finanzamt auf Antrag gewährt und direkt ausgezahlt. Sie wäre einkommensunabhängig und transparent: Jeder wüsste, wie viel er pro Entfernungs-Kilometer bekommt oder dass sein ÖPNV-Ticket erstattet wird. Jeder könnte sich in seinem Verhalten darauf einstellen. Die Entfernungszulage wäre degressiv gestaltet, um das Wohnen näher am Arbeitsplatz anzureizen. Ökologisch wäre sie an heute schon realisierbaren Verbräuchen von Pkw orientiert: an vier Litern pro 100 Kilometer statt an 8-9 Litern.

Die degressive Pendlerzulage, wie der BUND sie vorschlägt, würde bei kürzeren Entfernungen bis 20 Kilometer zehn Cent pro Kilometer Steuererstattung ergeben, bis 30 Kilometer acht Cent, ab 30 Kilometer dann nur noch sechs Cent. Im Rechenbeispiel bedeutet das im Vergleich zu jetzigen Regelung (durchschnittlicher Steuersatz: 25 Prozent): Bei 20 Kilometern eine höhere Erstattung von 460 Euro gegenüber jetzt 345 Euro. Bei 50 Kilometern ergibt sich hingegen ein niedrigerer Betrag von 690 gegenüber 863 Euro.

Zusätzlich werden flankierende Maßnahmen gebraucht, um die ArbeitnehmerInnen zu unterstützen. Die Arbeitgeber müssen endlich bereit sein, betriebliche Mobilitätskonzepte zu erarbeiten, um Fahrgemeinschaften zu organisieren und zu fördern, die Anbindung ihrer Betriebsstätte an den ÖPNV zu verbessern oder eigene Angebote zu entwickeln. Auch die Überprüfung ihrer Standortwahl darf kein Tabu sein.

Beides muss passieren: Die Pendlerpauschale muss reformiert werden, aber zusätzlich werden aktive Maßnahmen auf der Ebene der Betriebe gebraucht. Nur diese Kombination bringt uns voran in Richtung nachhaltige Mobilität. Heute wälzen die Arbeitgeber und ihre Verbandsvertreter das Problem der Erreichbarkeit der Arbeitsstätten auf ihre MitarbeiterInnen ab, privatisieren es sozusagen. Andererseits wollen sie es auch sozialisieren, indem sie lange Wunschlisten mit Straßenbaumaßnahmen erstellen, für die längst kein Geld mehr da ist. Damit drehen sie am Teufelskreis: Weitere Arbeitswege führen zu höheren Subventionen und zu mehr Landschaftszersiedlung zu weiteren Arbeitswegen …

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