»Wo ist Vogel?«

DIE ERINNERUNGEN DES ANTIFASCHISTEN ERICH KNORR

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie verhält sich jemand, der in einen Krieg ziehen muss, den er ablehnt, und dazu noch in der Uniform eines politischen Systems, das er hasst und das er bekämpft hat? Die Antwort gibt Erich Knorr, Jahrgang 1912, Kommunist, Mitglied des Roten Frontkämpferbundes, von den Nazis 1936 wegen »Hochverrats« angeklagt und bis 1940 in Zwickau und in Waldheim inhaftiert.

1932 hat er die erste Demonstration für die Einheitsfront von Kommunisten, Sozialdemokraten und Linkssozialisten organisiert und war dafür von seinen Genossen gemaßregelt worden, weil er die gängige Charakterisierung der Sozialdemokraten als »Sozialfaschisten« nicht erkannt habe. Er atmete auf, als er erfuhr, dass der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale diese absurde Festlegung verwarf und auf breite Volksfronten orientierte. Für Deutschland aber war das zu spät, denn die Nazis hatten nach ihrer Machtübernahme die Organisationen der Arbeiterklasse zerschlagen, darunter die nach der KPdSU zahlenmäßig stärkste kommunistische Partei, die KPD. Erich Knorr war sich im Gegensatz zu vielen führenden Genossen der KPD der Katastrophe bewusst.

Die Verluste an den Fronten in dem von Hitler- Deutschland entfachten Krieg zwang die Nazi-Führung, sich nach neuen Rekrutierungsreserven umzusehen. Die fand sie in den bis dahin als nur »bedingt wehrwürdig« Eingestuften, also solchen Menschen wie Erich Knorr, die ihre »Wehrwürdigkeit« durch Zuchthausstrafe verloren hatten. Eigens für diese Männer wurde die Strafdivision 999 geschaffen. Als Erich Knorr dorthin eingezogen wurde, stand für ihn von Anfang an fest, dass er bei erstbester Gelegenheit überlaufen würde. Zunächst suchte er mit äußerster Vorsicht Verbündete. Bei den »999ern« waren nicht nur Nazigegner, etwa 70 Prozent der ca. 28 000 »bedingt Wehrwürdigen« hatten einen kriminellen Hintergrund.

Knorr gelang, Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen. Die Versuche, überzulaufen, scheiterten jedoch. In Griechenland bekam er keinen Kontakt zur ELAS, der kommunistischen Widerstandsorganisation. In Jugoslawien waren die Tito-Partisanen zu weit entfernt, in der Ukraine wollte er sich in Stanislau von der Roten Armee überrollen lassen, die sowjetischen Panzerspitzen aber wurden vernichtet. Am tragischsten wohl endete der Versuch, in Leontina mit der Sowjetarmee vermittels Lichtsignalen Kontakt aufzunehmen. Als deren Aufklärer die Front überquerten, wurden sie von einem Nichteingeweihten mit Handgranaten empfangen und Erich stand kurz darauf erschüttert vor einem getöteten Sowjetsoldaten.

Eine überraschende Wende aber trat ein, als Erich den Sozialdemokraten, Juristen und späteren Wirtschaftssenator von Westberlin, Karl König (1910-1979), kennenlernte, der nach einer dreijährigen Zuchthausstrafe ebenfalls zu den »999ern« eingezogen worden war. Bei einem Urlaub in Berlin hatte dieser Kontakt zu Sozialdemokraten um Julius Leber im Widerstandskreis um Stauffenberg aufgenommen. Er brachte die Idee mit an die Front, dass nach einem erfolgreichen Attentat auf Hitler Angehörige der Strafdivision die Sicherung der sich neu zu bildenden Regierung übernehmen könnten. Das war die Geburtsstunde der sich in der Illegalität formierenden »Kampfgruppe Karl König«. Das Attentat gegen Hitler scheiterte jedoch. König geriet in sowjetische Gefangenschaft. Seine »Kampfgruppe« löste sich auf.

Knorr gelang es schließlich, sich mit den auf dem Rückzug befindlichen deutschen Truppen von der Front abzusetzen. In Nordböhmen, unweit seiner Heimat, beschloss er, dass der Krieg für ihn zu Ende sei. Als er auf sowjetische Truppen stieß, übersetzten junge jüdische Frauen, die Auschwitz überlebt hatten, seine Papiere, die ihn als Nazi-Gegner auswiesen. Ein Sowjetsoldat zeigte jedoch auf Erichs rechte Brustseite und fragte: »Wo ist Vogel?« Er vermisste den Hoheitsadler.

Erich Knorr hat alle Kraft eingesetzt, um ein besseres Deutschland zu schaffen. Seine Genossen haben ihm das nicht immer gedankt. Auch für ihn könnte der Satz von Jürgen Kuczynski gelten: »Mein Helm hat viele Beulen, einige davon sind auch vom Feind.«

Ein spannendes, interessantes, wichtiges und berührendes Buch, dem man indes ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht hätte.

Erich Knorr: Strafsoldat in Krieg und Nachkrieg. 29 Monate Strafbataillon 999. Pahl-Rugenstein. 208 S., br., 19,90 €.

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