Die Dachsfrau

GERBRAND BAKKER: »Der Umweg«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

In diesem kleinen poetischen Roman des Niederländers Gerbrand Bakker ist vieles geheimnisvoll, manches nur angedeutet. Gleich zu Beginn wird der Leser in eine abgelegene ländliche Gegend versetzt, halb Ödland, halb verwunschenes Idyll. Aber er gerät auch in eine ihm ferne Gefühlswelt, schwankend zwischen Versteinerung und Schwerelosigkeit. Das bewirkt die lapidare, oft verknappte Sprache des Autors: »An einem frühen Morgen sah sie die Dachse. Sie liegen an dem Steinkreis herum, den sie vor ein paar Tagen entdeckt hatte ... November. Windstill, feucht. Sie freute sich über die Dachse ...«

Im Kontrast zum bäuerlichen, erdverbundenen Sein gibt es im Buch eine beengende, ja miefige Kleinbürgerwelt, aber die bleibt sehr fern und man erfährt von ihr erst im zweiten Teil, schüttelt sie am liebsten schnell ab - so, wie sie die einzig wirklich wichtige Person des Romans endgültig abgeschüttelt und hinter sich gelassen hat. Es ist eine Frau, sie nennt sich Emily, ihren wirklichen Namen Agnes (erinnernd an Agnus - Opferlamm?) erfahren wir erst ganz am Ende.

Ein einsames, altes walisisches Farmhaus. November. Dezember. »Der Himmel blieb oft grau, das Meer war nicht weit ...« Ein kleiner Bach fließt vorbei. Nachts braust das Wasser wütend in den Schlaf. Auf kahler Wiese sechs fette Gänse und eine Herde schwarzer Schafe. Am Morgen ist der Winterhimmel fahlgelb, dunkel ragen die Zweige der Erlen. Schwarze Vögel fliegen über die alten Ställe. Manchmal holt der Fuchs eine Gans. Hier hat Emily ein Versteck gefunden. Eine bleibende Statt wird es nicht sein. Merkwürdig nah kommt der Dachs in der Mittagsstunde der Frau, einmal beißt er sie ins Bein. Das ist unmöglich, sagen die Menschen. In dieser Welt, in diesem Buch ist viele möglich. »Dachsfrau« nennen sie die Leute in der Stadt.

Emily ist aus Amsterdam geflohen. Sie hat die Wege zurück und in eine dort drohende Zukunft abgeschnitten, ihre Spuren zu verwischen versucht. Alles hat sie hinter sich gelassen, den ahnungslosen Ehemann, ihre Arbeit an der Universität, die Affäre mit einem Studenten, quälende Erinnerungen an die Kindheit in dem engen Elternhaus. Bei den täglichen handwerklichen Verrichtungen versucht sie, Ängste zu vergessen. Nicht immer gelingt das, Zigaretten und Schmerzmittel sollen lindern, aber der Bedarf steigt ständig. Emily ist verletzt, hat innere und äußere Wunden.

Nur selten verirren sich Menschen in die Einsamkeit um das Farmhaus herum. Der alte Flurweg ist längst überwuchert. Aber eines Tages steht der junge Bradwen mit einem Hund im Hof. Bradwen zieht bei Emily ein. Er macht nicht viel Worte, kann Pfähle setzen, Zäune reparieren, Rosen pflanzen ...

»Der Umweg« ist ein Frauen-Roman, so einfühlsam, dass man meinen könnte, er sei von einer Frau geschrieben. Tatsächlich hat dem Autor eine Frau die Hand geführt. Der Leser muss nicht lange rätseln: Emily Dickinson, die geheimnisvolle Dichterin des 19. Jahrhunderts, deren Wiederentdeckung wir gerade erleben. Dickinsons verschwenderische Farben und Naturmetaphern durchziehen den Roman, ihre Methode der Annäherung als »Umkreisen« (»Circumference« nennt sie das) überträgt sich dem Buch. Das Gedicht einer Liebesfeier umschließt den Roman, der Autor hat es an den Anfang und ans Ende gesetzt. Ist es das, was er »Umweg« nennt?

Gerbrand Bakker: Der Umweg. Roman. A. d. Niederl. v. Andreas Ecke. Suhrkamp. 229 S., geb., 19,95 €.

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