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Die großen Gefühle der Oper
PETER HENISCH und ein pensionierter Postbeamter
Franz Novak war ein harmoniebedürftiger Mann. Seine Frau Hertha dagegen stritt sich gern. Um des lieben Friedens willen gab Franz meist nach. Bis der 55-jährige frühpensionierte Postbeamte eines Tages seine Leidenschaft für die Oper entdeckte. Oder ist es die Leidenschaft für Schwester Manuela, die ihm während eines Krankenhausaufenthalts die Opernkassetten ausgeliehen hatte? Seine Frau ist sich dessen sicher. Für Novak selbst, aber auch für den Leser dieses Romans, geht es um mehr. Denn wenn die Geschichte auch trivial erscheint - frus-trierter alternder Mann verliebt sich in junge Frau -, der österreichische Schriftsteller Peter Henisch entfaltet ein eindrucksvolles Geflecht aus Motiven und Erzählsträngen. Er verliert dabei nicht den Überblick und fügt am Ende alles wieder zusammen.
Da ist zum Beispiel das Verhältnis von Vernunft und Gefühl. Novak war immer vernünftig. Er ging zur Post, weil es ein sicherer Arbeitsplatz war. Er stritt sich nie mit seiner Frau, das war vernünftiger. Oder war es nur Bequemlichkeit, weil ein Streit viel Kraft gekostet hätte? Dann aber beginnen die großen Gefühle der Oper sein Leben in Frage zu stellen. In der Oper geht es meist um alles oder nichts, um Liebe, Verrat und Tod. »Der Tod und die Liebe. Wieso denkt man das traditionellerweise so nah beieinander? Und wieso dachte er, Novak, das jetzt so nah beiein-ander? Bis vor kurzem war er ein nüchterner Mensch gewesen, da wäre ihm so etwas nicht eingefallen.« Denn sein Leben verlief in eingefahrenen, ruhigen Gleisen. Mit zurückgedrängten Gefühlen, und die brechen nun auf, wie Novak feststellen muss.
Nach Rückkehr aus dem Krankenhaus nimmt Novak erst einmal sein altes Leben wieder auf, verzichtet auf die Oper. Erst als er zufällig die nachmittägliche Opernsendung im Radio einschaltet, kann er sich der Suggestion dieser Musik nicht entziehen. Und dem Gedanken an Schwester Manuela. Als seine Frau eines Tages dahinter kommt - im Krankenhaus hatte er bei ihren Besuchen den Walkman immer im Schrank verschwinden lassen -, regt sie sich auf. Sie spürt nicht nur, dass Novaks neue Leidenschaft etwas mit Krankenschwester Manuela zu tun hat, die im Übrigen nichts davon weiß, sie empfindet seine neue Vorliebe auch als Verrat. »Als Verrat an ihr, seiner Frau, und dem halben Leben, das sie miteinander verbracht hatten. An ihrer Herkunft. An dem Milieu, aus dem sie beide kamen. Was glaubt er denn, wer er ist? Was bildet er sich auf einmal ein?«
Weil die Geschichte auch ein Finale wie in einer Oper haben sollte, hat Peter Henisch die Frau so geschaffen, dass sie dieses Ende garantiert. Wäre sie weniger bösartig, der Schluss wäre wahrscheinlich fader ausgefallen - wie im »richtigen« Leben sozusagen. Dem Roman hätte das nicht geschadet; vielleicht wäre er weniger spannend gewesen, weil man nicht mehr hätte wissen wollen, worin die Tragödie am Ende besteht.
Doch Peter Henisch hat in seinem lesenswerten Buch seinen eigenen Fähigkeiten nicht getraut: Dass die sich langsam entwickelnde, feinsinnige und mit vielen klugen Anspielungen versehene Erzählung große Kunst ist und ohne die Bösartigkeit der Frau und den dramatischen Schluss überzeugender gewesen wäre. Eine Geschichte von einem Mann, der sich aus Bequemlichkeit und Feigheit selbst verleugnet. Der sich in den zugespitzten Geschichten und großen Gefühlen der Oper dessen bewusst wird. Und der am Ende an der Spannung zwischen beiden scheitert.
Peter Henisch: Großes Finale für Novak. Residenz Verlag, 304 S., geb., 22,90 €.
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