Kuba war nie ein besonders religiöses Land

Raúl Fornet-Betancourt über den Besuch des Papstes, soziale Rechte und das Embargo der USA

  • Lesedauer: 4 Min.
Der gebürtige Kubaner Raúl Fornet-Betancourt ist wissenschaftlicher Referent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio in Aachen und Professor für Philosophie an der Universität Bremen. Über den Besuch Papst Benedikts XVI. in Kuba sprach mit ihm für »nd« Harald Neuber.
Kuba war nie ein besonders religiöses Land

nd: Herr Fornet-Betancourt, Kuba ist im globalen Maßstab ein recht kleines Land. Fornet-Betancourt: Weshalb reist zum zweiten Mal in 14 Jahren ein Papst nach Kuba?
Weil die historische Bedeutung Kubas im Verlauf des nachwirkenden 20. Jahrhunderts in keinem Verhältnis zur geografischen Größe der Insel steht. Kuba hat in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine schier unglaubliche Leistung vollbracht: die kubanische Revolution und das revolutionäre Projekt, für das Kuba seither international steht. Ich denke, dass man den Papstbesuch auch vor diesem Hintergrund betrachten muss. Zwar hat Kuba in den vergangenen Jahren viel von der Ausstrahlung der 70er und 80er Jahre verloren, dennoch steht sein Name nach wie vor als Synonym für eine utopische Wende in der Geschichte Lateinamerikas und den Kampf für bestimmte Ideale. Das gilt selbst noch in der heutigen Welt, in der wir uns nach dem Diktat des Kapitals richten.

Sicherlich geht es aber auch um die konkrete Rolle der katholischen Kirche im heutigen Kuba.
Ohne Zweifel. Die katholische Kirche hat in den vergangenen Jahren eine Rolle in bestimmten politischen Prozessen gespielt. Das wurde von Präsident Raúl Castro auch so anerkannt. Es war bezeichnend, dass er den Kardinal und Erzbischof von Havanna, Jaime Ortega, eingeladen hat, als der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos im Juli 2010 in Havanna zu Gast war, um unter anderem über die Freilassung von Systemoppositionellen zu verhandeln.

Der Papst ist also ein politischer Gast?
Es handelt sich in erster Linie um einen pastoralen Besuch. Es geht also darum, die katholische Gemeinde in Kuba zu stärken. Aber der politische Zusammenhang kann nicht geleugnet werden.

Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Staat war nach der Revolution 1959 nicht immer gut. Wie erklären Sie sich die Entspannung und die Wiederkehr der Religiosität?
Kuba war nie ein besonders religiöses Land, anders als Mexiko oder weitere Staaten Lateinamerikas, in denen es eine gewisse Volksfrömmigkeit gibt. In Kuba ist dagegen die aus Afrika inspirierte Santería stark vertreten. Dennoch hatte die katholische Kirche stets eine gewisse Verankerung. Trotz der Konflikte und der Einschränkungen gab es in Kuba immer ein religiöses Leben mit zunehmenden Freiräumen. Gerade in den letzten Jahren ist eine zunehmende Nachfrage zu beobachten, vielleicht auch im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus und einer Revision des marxistischen Wertekanons in Kuba. Die Religion wurde als Mittel erkannt, ethische Werte zu transportieren.

Der kubanische Sozialwissenschaftler Aurelio Alonso führt die zunehmende Religiosität direkt auf die soziale Krise Kubas in den 90er Jahren zurück. Es gibt aber auch andere Faktoren: Seit 2004 sind sogenannte Religionsvisa der USA ein Weg, legal in die Vereinigten Staaten zu reisen. Trägt das nicht auch zum Zulauf zur Kirche bei?
Solche Faktoren kann man nicht von der Hand weisen. Es geht aber in Kuba heute auch um tiefer greifende Fragen. Schon unter Che Guevara wurde viel darüber diskutiert, wie man ethische Werte fördern und zur Massenmobilisierung nutzen kann. Der von Ihnen erwähnte Aurelio Alonso sieht in der Religion durchaus eine Kraft, die im heutigen Kuba moralische und ethische Werte stärken kann. Aber es gibt auch andere Stimmen, etwa die des 2009 verstorbenen Dichters und Essayisten Cintio Vitier, der Revolutionär und bekennender Katholik war. Es geht also nicht nur um strategische Überlegungen.

Im Fall der sozialistischen Staaten Osteuropas hat die katholische Kirche unter Papst Johannes Paul II. eine klar definierte politische Rolle gespielt. Weshalb sollte sich das in Kuba nicht wiederholen?
Zunächst einmal ist die sozialistische Führung in Kuba historisch gewachsen und wurde nicht militärisch durchgesetzt ...

... worauf Fidel Castro schon Ende 1989 in einer Rede hinwies.
Und da hatte er recht. Deswegen kann man die sozialistischen Staaten Europas und die kubanische Revolution nicht über einen Kamm scheren. Was der Papst in Kuba sagen wird, darüber kann man nur spekulieren. Aber natürlich hofft die kubanische Regierung darauf, dass er seinen Besuch nutzt, um das Embargo der USA gegen Kuba zu verurteilen. Sein Besuch wird auf jeden Fall gegen die Isolation Kubas wirken. Die kubanische Kirche ihrerseits erwartet eine Bestätigung ihrer Linie des Dialogs, und das in klarer Abgrenzung zu den Exil-Kubanern in Miami.

Sie haben Kardinal Ortega erwähnt, der an die Lehren der Befreiungstheologie anknüpft. Spielt diese Tendenz eine Rolle in Kuba?
Es ist ein Verdienst von Ortega, dass er die Konvergenzpunkte zwischen Christentum und Revolution stets hervorgehoben hat. Die Verteidigung der sozialen Rechte ist in vielen Ländern der Erde nicht selbstverständlich. Nach der befreiungstheologischen Lektüre des Evangeliums steht die Aufforderung im Vordergrund, den Hungernden Brot zu geben. Deswegen hat Ortega auch im Ausland betont, dass es in Kuba bewahrenswerte Errungenschaften gibt.

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