Ungerechte Verteilung der Lasten

  • Ullrich Sierau
  • Lesedauer: 4 Min.

Um es gleich klar zu sagen: In der Debatte um den Solidarpakt ging es mir nie um die Solidarität mit den ostdeutschen Kommunen, sondern einzig und allein um ein finanzielles Ausgleichssystem, das sich nach meiner Überzeugung in über 20 Jahren an der Realität überlebt hat. Zugegeben - ich habe drastische Worte gewählt, um die Aufmerksamkeit von Politik und Medien auf die Not der Städte zu lenken. Immerhin: Es scheint gelungen zu sein und es war überfällig!

Das System des Solidarpakts zwingt seit Jahren hoch verschuldete, teils verarmte Städte und Gemeinden im Westen Deutschlands zur Kreditaufnahme, um ihren Anteil daran aufbringen zu können. Das ist schlimm, weil es in die Überschuldung führt und handlungsunfähig macht. Inzwischen steuern wir sogar auf die aberwitzige Situation zu, dass diese Städte dank Finanzkrise und Basel III nicht einmal mehr die notwendigen Kredite aufnehmen können, weil sie das Geld auf dem Finanzmarkt schlicht nicht mehr bekommen. Pardon, aber das alles ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zu vermitteln.

Obwohl Dortmund mit einem genehmigten Haushalt noch ganz gut da steht, drücken auch hier hohe Schulden und strukturelle Unterfinanzierung. Fast die Hälfte des Haushaltes wird für Soziales und Jugend aufgewendet - teils mit Steigerungsraten von 50 Prozent in den letzten sieben Jahren. Gegenwärtig hängen rund 1,3 Milliarden Euro an Liquiditätskrediten als Damoklesschwert über der Stadt, denn jeder größere Zinsanstieg kann den Haushalt explodieren lassen.

Im Kontext dieser Situation habe ich meine Kritik geäußert. Nicht weil ich den Solidarpakt für die Ursache des Übels halte, sondern weil er die prekäre Lage zusätzlich verschärft. Die Zahlen aus Dortmund machen das deutlich: Bis 2019 wird die Stadt rund 750 Millionen Euro in den Solidarpakt eingezahlt haben - zur Hälfte auf Kredit. Zinsen und Tilgung sorgen dafür, dass sich die Belastung über viele weitere Jahre erstrecken wird.

Gleichwohl: Das eigentliche Problem ist nicht der Solidarpakt, sondern die Attitüde vor allem des Bundes, bei den Kommunen immer wieder zu bestellen ohne die Rechnung zu bezahlen. Und quasi als Sahnehäubchen oben drauf dann auch noch andere Finanzmittel zu kürzen, zum Beispiel bei den Arbeitsmarktinstrumenten oder der Städtebauförderung.

Wenn man aus diesem Teufelskreis raus will, muss man über die Verteilung der Soziallasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen endlich neu verhandeln. Dabei habe ich durchaus Verständnis dafür, dass man an den Solidarpakt jetzt nicht ran will. Dann muss aber bitte schön bis zu einer grundsätzlichen Neuregelung Kompensation her. Ich habe deshalb vier Maßnahmen vorgeschlagen, die sofort helfen würden und mir bei einem Volumen von rund 4,5 Milliarden Euro auch durchaus finanzierbar erscheinen.

Zum Ersten muss der Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft nach »Hartz IV« von derzeit 35 Prozent auf 44,4 Prozent angehoben werden. Belastung für den Bundeshaushalt: etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.

Zum Zweiten ist der Bund in der Pflicht, die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Eingliederungshilfe für Menschen mit einer Behinderung zu schultern. Belastung für den Bundeshaushalt durch ein steuerfinanziertes Bundesteilhabegeld von 582 Euro je Person und Monat: etwa 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.

Drittens hat der Bund die aus der EU-Südosterweiterung resultierenden Soziallasten den Kommunen in vollem Umfang zu erstatten. Die längst stattfindende Armutswanderung führt schon jetzt, verstärkt aber ab 2014 zu erheblichen zusätzlichen Transferleistungen. Die Auswirkung auf den Bundeshaushalt wäre mit etwa einer Milliarde Euro pro Jahr überschaubar.

Schließlich ist die Städtebauförderung als strategisches Instrument der Stadtentwicklung dringend dauerhaft zu sichern. Die Bundesregierung sollte wie zuletzt im Jahr 2010 mindestens 535 Millionen. Euro jährlich bereit stellen.

Ein finanzielles Engagement des Bundes in dieser Weise wäre ein deutliches Zeichen gemeinsamer Verantwortung angesichts gewaltiger gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland. Es enthöbe aber, und das muss ganz klar sein, nicht von der Aufgabe, die Gemeindefinanzierung grundsätzlich neu zu regeln. An die Kommunen Ostdeutschlands appelliere ich, sich mit den Städten und Gemeinden Westdeutschlands in dieser Frage zu solidarisieren. Denn eine gerechte und auskömmliche Finanzausstattung liegt im Interesse der Städte und Gemeinden in ganz Deutschland!

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