Meister der Imagination

Das Kulturzentrum Compa ist ein idealer Lernort für Jugendliche aus der bolivianischen Metropole El Alto

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Kultur spielte lange Zeit in El Alto, der Oberstadt von La Paz, kaum eine Rolle. In der schnell wachsenden Zuwandererstadt ging es schlicht um die Existenz. Mit der Gründung des Kulturhauses Compa hat sich dies ein wenig geändert. Aus einem kleinen Kulturprojekt ist ein großes Kulturzentrum erwachsen - mit einem bunten Programm und besten Kontakten nach Deutschland.
Iván Nogales ist Initiator des Kulturhauses Compa und hält das Projekt am Laufen. Seine Kreativität und Fantasie scheint - auch nach 20 Jahren Engagement in der Stadt - unerschöpflich.
Iván Nogales ist Initiator des Kulturhauses Compa und hält das Projekt am Laufen. Seine Kreativität und Fantasie scheint - auch nach 20 Jahren Engagement in der Stadt - unerschöpflich.

Ein Mobiltelefon klingelt. Anita zieht eine Grimasse und deutet mit rollenden Augen auf das Plakat am Eingang des Proberaums. In dicken Lettern stehen darauf die Regeln für alle Teilnehmer. Das Ausschalten der Mobiltelefone gehört dazu, noch wichtiger ist jedoch der gegenseitige Respekt. »Wer hierher kommt, um den eigenen Körper und den Geist zu entdecken, soll sich wohlfühlen«, so die Schauspielerin mit den pechschwarzen langen Haaren, die ganz in Schwarz gekleidet ist. Sie unterrichtet die Gruppe aus acht Jungen und vier Mädchen, die sich zweimal pro Woche im Proberaum des Kulturzentrums von El Alto trifft.

El Alto heißt die über La Paz liegende Zuwandererstadt, die in den vergangenen zwanzig Jahren sprunghaft gewachsen und zur zweitgrößten Stadt Boliviens geworden ist. Über eine Million Menschen - und damit mehr als unten in La Paz - leben mittlerweile auf dem Hochplateau in 4000 Meter Höhe.

Ein buntes Kulturhaus aus zweiter Hand

Nahezu täglich kommen neue Familien an, die in El Alto ihr Glück suchen wollen. Auch einige der Schüler sind erst seit Kurzem in El Alto, andere sind in der von Backsteinbauten und Holzbaracken geprägten Stadt aufgewachsen. So etwas wie das Compa war lange Zeit undenkbar. Dann ergriff Iván Nogales die Initiative. »Er ist die Keimzelle vom Compa und hat Anfang der 90er Jahre begonnen, mit Straßenkindern den öffentlichen Raum zu nutzen und Theater zu spielen«, erklärt Theaterlehrerin Anita. Gemeinsam mit ihrer Schwester wurde sie auf den Sozialarbeiter, Soziologen und Theaterpädagogen in Personalunion aufmerksam. »Das war etwas Neues und daran wollten wir teilhaben«, erinnert sich die Mutter zweier Kinder, die seitdem zur Equipo, zum Team, im Compa gehört.

Das Team bespielt ein eindrucksvolles sechsstöckiges Gebäude, das in langjähriger Teamarbeit quasi aus dem Nichts aufgebaut wurde. »Wir haben Fenster, Türen, alle möglichen Baumaterialien in La Paz und El Alto gesammelt und unser eigenes Haus im Prinzip aus recyceltem Material gebaut«, erklärt Anita lachend und deutet auf die bunte Fensterfront, die den Proberaum prägt. Vieles in dem weitläufigen Zentrum ist aus zweiter Hand, doch die Grundkonstruktion ist ausgesprochen solide. Dafür hat Iván Nogales mit einem befreundeten Statiker und einem erfahrenen Maurer zusammengearbeitet. Die sollen auch wieder Hand anlegen, wenn die Dachterrasse im sechsten Stock, von der man einen prächtigen Blick über El Alto hat, wirklich einmal zum Café ausgebaut wird. Doch das ist noch Zukunftsmusik, denn derzeit fehlt es mal wieder an Kapital, um derartige Pläne zu realisieren oder das Angebot zu erweitern.

Das Compa wird nur in seltenen Fällen von der nationalen Kulturpolitik mit Ressourcen bedacht und hält sich vor allem dank internationaler Hilfen und Praktikanten über Wasser. Derzeit ist Besuch aus Dänemark und Deutschland im Haus, der sich auch gleich im bunten Compa-Programm bemerkbar machen. So ist Jan für den Englisch-Kurs verantwortlich, Lene für den Workshop Fotografie und Animation, und das Radio-Projekt wird von Daniel und Edwin bestritten, während Tintin gerade die Vorbereitungen für die Karawane zum 3. UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro trifft. Dort will die Compa-Truppe gemeinsam mit Freunden aus Deutschland, Europa und Lateinamerika spielerisch auf die Defizite der Umweltpolitik aufmerksam machen. Auf einer der Etappen von »Copacabana nach Copacabana« wird es beispielsweise einen Auftritt in Cochabamba geben, wo die Truppe auf den exorbitanten Einsatz von Pestiziden aufmerksam machen will«, so Iván Nogales, der gerade in den Proberaum gekommen ist.

Radio gegen den Mainstream

Theater ist zwar bisher das wichtigste Agitations- und Ausdrucksmittel im Kulturzentrum, aber längst nicht mehr das Einzige. Im Laufe der Jahre wurde das Spektrum ausgebaut und das Cinetec Trono genauso aufgebaut wie der kleine eigene Radiosender. Der ist so etwas wie die Stimme von El Alto geworden. Mehrere Gruppen machen hier gemeinsam Programm und informieren über alles, was in der Region passiert - oder passieren wird. Kritisch, unbequem und gegen den Strom schwimmen dabei die Radiomacher, genauso wie das gesamte Kulturzentrum. Es kümmert sich um den jugendlichen Nachwuchs und pflegt deshalb auch Kontakte zur Kinderkulturkrawane und terre des hommes nach Deutschland.

Kinder- und Jugendarbeit ist ein Kernbereich der Arbeit am Compa. Anfang der 90er Jahre begann Iván Nogales, gemeinsam mit Straßenkindern aus einer Erziehungsanstalt in El Alto, Theater in den öffentlichen Raum zu bringen. Die Kinder und Jugendlichen begannen zu spielen und ihren - oft unaussprechlichen - Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Immer mehr aus dem Alltag wurde in den Stücken verarbeitet. Der Alltag in der Großstadt ist auch ein wichtiges Thema im Radio. Aber das Projekt hat noch mehr zu bieten, denn es ist Treffpunkt, Keramikwerkstatt, Druckerei und Museum.

Im Keller befindet sich eine Gedenkstätte für die Bergarbeiterbewegung Boliviens mit mehreren eigens geschaffenen Bergwerkstollen. Häufig kommen Schulklassen zu Besuch, und Compa-Mitarbeiterinnen machen die Jugendlichen in einer Art Rollenspiel mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kumpel unter Tage vertraut. »Ein Stück Alltag in Bolivien, wo der Bergbau zur Geschichte und zum täglichen Leben gehört«, erklärt Iván Nogales mit seinen optimistisch funkelnden Augen.

Nogales kann motivieren, strahlt Zuversicht aus und versucht schlicht das Unmögliche. Neben der Tour mit dem mobilen Teatro Camion, dem Theater-Lkw, an die Copacabana hat der klein gewachsene Mann noch weitere Eisen im Feuer. Neuestes Projekt ist der Entwurf eines Künstlerdorfs rund zwei Stunden von El Alto entfernt im tropischen Tiefland. Über das Konzept, die ersten Entwürfe und Vorstellungen wird am Abend in der Wohnung von Nogales fleißig diskutiert.

Querdenker aus Berufung

Derartige kreative Prozesse machen dem 1963 geborenen Soziologen, der in El Alto aufwuchs, aber in La Paz geboren wurde, großen Spaß. »Ich habe noch Feuer in mir«, sagt der stämmige Mann lachend und blickt über die Stadt, die ihn immer mehr interessierte als La Paz, wo die Zentralregierung ihren Sitz hat.

1970, Iván war gerade sieben, starb sein Vater im Guerillakampf. In dessen Fußstapfen wollte der Sohn treten, aber schließlich besann er sich auf die revolutionäre Kraft der Kunst. Die hält Nogales seitdem in Atem und nicht nur in El Alto, wo einige hundert Kinder und Jugendliche über Schulpartnerschaften und Kurse im Compa engagiert dabei sind, strahlt das Kulturhaus in die Stadt aus, sondern auch in Cochabamba und Santa Cruz, wo in den vergangenen Jahren Ableger entstanden sind.

Dabei macht es dem Künstlerkollektiv um Nogales - rund ein Dutzend Querdenker - Spaß, mit der Kunst die bestehenden Verhältnisse infrage zu stellen. Das Miteinander und nicht das allgegenwärtige Gegeneinander ist dabei eine Grundvorrausetzung. Das hat schon so manchem Besucher, darunter auch den Weltmusiker Manu Chao, ein anerkennendes Lächeln entlockt.

»El Mañana es Hoy - Die Zukunft beginnt heute«, ist das Motto, unter dem im Compa agiert wird. Statt auf zukünftige Veränderungen zu warten, legt das Team selbst tatkräftig Hand an - am Haus genauso wie an neuen Projekten. Doch zuerst einmal steht »Von Copacabana nach Copacabana« auf dem Programm und neben der hiesigen Theatergruppe sind zahlreiche Gäste aus Europa und Brasilien dabei, um Partei für das Klima in Rio de Janeiro zu ergreifen. Am 22. Juni steht der Auftritt an der Copacabana auf dem Programm. In El Alto war die erste Resonanz auf das bunte, kritische und charmante Stück ausgesprochen positiv.

Über das Teatro Trono aus dem Kulturhaus Compa in El Alto, Boliviens zweitgrößter Stadt, hat neues deutschland wiederholt berichtet. Das Zentrum bietet aber mehr als nur Theater. Die Kulturschaffenden engagieren sich auch überregional: »Von Copacabana nach Copacabana« heißt ihre Initiative, die im bolivianischen Copacabana, einer Insel im Titicacasee startet und an der Copacabana auf dem Umweltgipfel in Río de Janeiro enden wird.
Über das Teatro Trono aus dem Kulturhaus Compa in El Alto, Boliviens zweitgrößter Stadt, hat neues deutschland wiederholt berichtet. Das Zentrum bietet aber mehr als nur Theater. Die Kulturschaffenden engagieren sich auch überregional: »Von Copacabana nach Copacabana« heißt ihre Initiative, die im bolivianischen Copacabana, einer Insel im Titicacasee startet und an der Copacabana auf dem Umweltgipfel in Río de Janeiro enden wird.
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