»Noch hat sich gar nichts geändert«

Sachverständige vor Thüringer NSU-Ausschuss

  • René Heilig, Erfurt
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages zu den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) begann am gestrigen Montag mit der ersten öffentlichen Zeugenanhörung.

Zur 9. Sitzung des Thüringer NSU-Ausschusses waren am Montag knapp 20 Experten aus der Wissenschaft sowie aus antirassistischen und antifaschistischen Projektgruppen geladen. Sie sollten Auskunft über den Aufbau und die Entwicklung rechtsextremer Strukturen in Thüringen bis ins Jahr 1998 geben. Aus ihnen entwickelte sich der NSU, aus ihnen ging die »Zwickauer Zelle« hervor, die fast 14 Jahre lang unentdeckt rassistische Morde und andere Verbrechen begehen konnte.

Die Demokratie sei in ihrem Kern gefährdet, wenn die Gesellschaft es gestatte, dass Menschen als nicht gleichwertig betrachtet werden, ihre Würde nicht geschützt wird, wenn man sie verfolgt, verletzt und sogar umbringt. Mehr noch, man habe auch noch den Opfern Schutz und Respekt verweigert. Statt dessen unterstützten Vertreter staatlicher Behörden deren Peiniger. Genau das sei in Thüringen geschehen, empörte sich Anetta Kahane, Chefin der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Sie war gestern als erste Sachverständige gehört worden. Sie hält die Vorgänge um den Thüringer Heimatschutz (THS) und dessen Verbindung zu extremen Parteien für ein Modell des modernen Rechtsextremismus in Deutschland. Man habe nicht nur nicht genügend getan, um diese Entwicklung zu bekämpfen, man habe die Neonazis auch noch unterstützt.

Allen voran Helmut Roewer. Der war lange Jahre ausgerechnet Chef des Landesverfassungsschutzes und hatte, so Kahane, »ein großes Problem mit der Distanz zur rechtsextremistischen Szene«. Sie hält ihn für einen lupenreinen Geschichtsrevisionisten. Mehrfach habe er gefordert, »man müsse doch sagen können, dass im Dritten Reich nicht alles schlecht war«. Roewer kannte die Protagonisten der Neonazi-Bewegung, äußerte öffentlich Verständnis, machte einige zu V-Leuten mit üppigem Salär.

Christina Büttner von der Opferberatungsstelle »esra« berichtete, dass Menschen aus Regionen, die von Rechtsextremisten dominiert sind, jeglichen Glauben an den Rechtsstaat verloren haben. Oft genug werden jene, die noch laut sagen, was vorgeht, beschuldigt, die Region, das Dorf, die Stadt zu verunglimpfen. So macht man aus Opfern Täter. Das bestätigten Aussagen mehrerer von Neonazis verfolgter Bürger aus Jena, Saalfeld und Bad Blankenburg, die vergeblich auf die Hilfe der Behörden gehofft hatten.

Trotz des Entsetzens, das nach dem Auffliegen der NSU-Mörderbande im November vergangenen Jahres deutlich wurde, verkündete Büttner eine erschreckende Diagnose über den Zustand der Gesellschaft: »Es würde heute nicht anders laufen. Noch hat sich gar nichts geändert.«

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