Boykott und Politik
Kommentar von Roland Etzel
Irgendetwas war von Anfang an merkwürdig an dieser Diskussion um einen Politikerboykott gegen ukrainische EM-Stadien. Jetzt, meldet die ARD, seien schon 74 Prozent der Bevölkerung dafür, dass Merkel und Co. die Bösen in Kiew nicht der Ehre ihrer Anwesenheit teilhaftig werden lassen. Das ist mehr als vorige Woche, erfährt man noch - und vergisst darüber fast, was man eigentlich schon zu Anfang fragen wollte: Wer aus dem Volke hat eigentlich gefordert, dass die da alle hinfahren?
Von öffentlichen Aufwallungen im Sinne eines Politikerkreuzzugs nach Kiew ging bislang nicht die Rede. Obwohl die Bilder der fußball- und siegestrunkenen Kanzlerin in diversen VIP-Logen auf peinliche Weise legendär sind, kann sich der gemeine Fußballfan das Spiel offenbar ganz locker auch ohne sie vorstellen; so wie es früher bei EM-Endrundenspielen eigentlich immer gewesen sein soll. Das Politikgeschäft kann eben sehr hart und undankbar sein.
Noch gar nicht erwähnt wurde bei alldem, dass Barroso, Gauck, Plewneliew oder wer auch immer sich nun wahrscheinlich alle in Polen werden austoben wollen. Wie denken unsere Menschen darüber? Vorsicht, man sollte den Mitleidsfaktor auch da nicht allzu hoch ansetzen. Egal - nach Polen müssen sie nun, alle, selbst jene, die niemals in die Ukraine wollten. Sonst kommt es am Ende noch dahin, dass Fußball- oder Großereignisse anderer Religionsgemeinschaften eines Tages auch ohne die Anwesenheit von Kanzlerinnen und Premiers für durchführbar gelten. Kann dieser politische Irrweg noch verhindert werden?
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.