Maria im Spinnennetz

Javier Mariás und sein neuer Roman

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Sprache, die umgarnt. Dieser Autor verführt mit Worten. Auch hat er auf dem Foto einen fein geschnittenen Mund, leicht umwölkte Augen - wie Javier Díaz-Varela, in den María Dolz, Ich-Erzählerin in diesem Roman, so vernarrt ist. Leidenschaftlich, hoffnungslos. Javier und Maria - so spielt Marías also mit uns, teilt sich gleichsam in zwei Seelen, zerreißt sich geradezu.

»Mein Herz so weiß« hieß der Roman, der ihm in Deutschland 1996 höchstes Lob von Marcel Reich-Ranicki einbrachte und ihn auch international unter die Berühmten erhob. Im Titel wird Lady Macbeth zitiert. Die Mordanstifterin, die sich unschuldig fühlen darf, weil sie die Tat nicht selbst beging. Sie wird man auch in diesem Buch wiederfinden, so wie das Motiv, das Javier Marías' gesamtes Werk durchzieht, seit seinem frühen Roman »Der Gefühlsmensch« schon, den er 1986 schrieb: das Verbrechen, das nicht geahndet werden kann, weil es nicht begangen wurde. Oder ist das, was in der Fantasie geschieht, schon ein Verbrechen?

Wie verwerflich, wie verständlich ist der Gedanke »Es hat einen anderen getroffen«? Und wie ist die Schuld desjenigen einzuschätzen, der lediglich zum Ohrenzeugen wird, ohne sicher zu wissen, inwieweit er einer Beichte glauben darf.

In »Der Gefühlsmensch« blickt ein Mann durch das Fenster seiner Wohnung und sieht, wie seine Frau erdrosselt wird - von jemandem, der ihm selber täuschend ähnlich sieht. In »Mein Herz so weiß« vernimmt der Ich-Erzähler vom Balkon seines Hotelzimmers aus Erschreckendes aus dem Nebenraum: Ein Frau bedrängt ihren Geliebten, seine Gattin umzubringen. Und die frisch gebackene Ehefrau des Ich-Erzählers - sie sind auf der Hochzeitsreise - liegt derweil nichts ahnend im Bett. So schutzlos: Luisa.

Und auch im neuen Roman wieder eine Frau dieses Namens, wie mehrmals schon in Javier Mariás' Werk. Luisa wird am Ende mit Javier Diaz-Varela glücklich verheiratet sein und nie etwas von den Mordplänen erfahren, die der charmante Mann mit den umflorten Augen ausgeheckt und durch fremde Hand zur Ausführung gebracht hat. Seine zeitweilige Geliebte Maria Dolz, der er alles - wirklich alles, wirklich die Wahrheit? - offenbaren musste, entschließt sich nach reiflicher Überlegung zum Schweigen. Damit nicht noch mehr Unheil geschieht, damit Luisa nicht zum zweiten Mal ihren Mann verliert. Denn ihren ersten Mann, Miguel, hatte sein Freund Javier auf dem Gewissen, auch wenn er beteuert, sein Gewissen sei rein.

Also alles in allem wieder eine ähnliche Geschichte. Aber nicht, dass man es mit Unmut registrieren würde. Im Gegenteil. In die Lektüre ziehen sich die früheren Werke von Javier Marías herein. In den vertrauten Klang mischen sich andere Melodien. Ein Chor der Toten, die von den Lebenden zurück ersehnt, aber letztlich nicht zu sich heran gelassen werden. Trauergesänge. Ein machtvolles »Memento mori«, weil die Lebenden sich dem Augenblick hingeben müssen und dadurch gerechtfertigt sind. »Die entsetzliche Macht der Gegenwart«, die Überzeugungen schwankend werden lässt. Man weiß es, und gleichzeitig wünscht niemand, dass etwas aufhört, was sich ihm gut anfühlt.

Geborgenheit in der Liebe, wie es bei Luisa und Miguel aussah, für Maria blieb nur unsicheres Glück. Warum gibt der Autor ihr seine Stimme? Wählte sie zur Erzählerin? Traut er der Frau mehr Klarheit, Gewissenhaftigkeit zu? »Die junge Besonnene« - so hatten Luisa und Miguel sie genannt, denn sie merkten wohl, wie sie im Café, wo sie regelmäßig frühstückten, von ihr beobachtet wurden. Der Autor erspart Maria keinen Zwiespalt, aber anders als die männlichen Gestalten in früheren Werken geht sie unbefleckt daraus hervor. - Eine Maria eben.

Aber der eigentliche Genuss der Lektüre liegt nicht in der Handlungsspannung, nicht in den geschliffenen moralischen Diskursen. Der Genuss liegt, so seltsam es klingt, in der Langatmigkeit. Hinreißend, wie Marias seine Sprachbögen ausschwingen lässt, lange Sätze, die sich winden - zu immer wiederkehrenden Motiven, zu einer Melodie, die in uns singt, in die man versinken möchte.

Und es gelingt ihm: Die Zeit dehnt sich, ändert ihren Rhythmus. Kein hartes Klopfen mehr, kein fordernder Takt. Wie Javier von Maria beschrieben wird: »Ich konnte während seiner Monologe nicht die Augen von ihm wenden, seine tiefe, wie nach innen gewandte Stimme bezauberte mich, die Wellen seiner oft willkürlich aneinandergereihten Satzglieder, das alles schien zuweilen keinem menschlichen Wesen zu entströmen, sondern einem Musikinstrument, das keinerlei Sinn übermittelt, einem leichthändig gespielten Klavier etwa.«

Maria im Spinnennetz, in ihrer Besonnenheit gibt sie sich zugleich »grenzenlosen Phantasien« hin und begnügt sich »mit der kleinsten Krume«, »damit, ihn zu hören ... zu riechen, zu erahnen, zu erfühlen, damit, dass er noch in Sichtweite, nicht ganz verschwunden ist ...«

Javier Marías: Die sterblich Verliebten. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag. 430 S., geb., 19,99 €.

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