Der alte Mann und die Waffe

Bis zum Horizont, dann links! von Bernd Böhlich

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 5 Min.

Der neue Film von Bernd Böhlich ist ein einziges Aufbegehren gegen das Warten. Ein Aufbegehren gegen den langsamen Countdown zum Tod, der nicht eintreten müsste, aber doch meist unwillentlich eintritt, sobald die Schwelle zum Altersheim überschritten ist und das, was von einem selbstbestimmten Leben übrig blieb, plötzlich in ein, zwei mitgebrachte Koffer passt. »Bis zum Horizont, dann links!« ist eine Altersheim(flucht)komödie, ein Film über das Reisen, das noch einmal Energien freisetzt, denn eine Reise, die ist lustig. Auch wenn es bei einigen der Reisenden vielleicht tatsächlich Galgenhumor ist, der ihnen hier noch einmal Auftrieb gibt.

Der Film wurde von Bernd Böhlich geschrieben und inszeniert, der nach einer durchweg interessanten Fernsehkarriere zuletzt auch mit den beiden Kinodramödien »Du bist nicht allein« und »Der Mond und andere Liebhaber« bewies, dass er kraftvollen Schauspielern kraftvolle Rollen schreiben kann. So ist der Ensemblefilm »Bis zum Horizont, dann links!« mit namhaften Darstellern besetzt. Otto Sander ist der knörzige Herr Tiedgen, der schon acht Jahre im Altersheim Abendstern vor sich hin simmert, Steffi Kühnert die floskeldreschende Heimleiterin, Ralf Wolter, der unvergessene Sam Hawkens der westdeutschen Karl May-Verfilmungen, die witzereißende Einquartierung im Zimmer Tiedgen. Und Angelica Domröse, eine knappe Dekade lang nicht auf der Leinwand zu sehen, spielt Frau Simon, den widerwilligen Neuzugang, von der Familie im Abendstern abgeliefert, damit sie der UN-Karriere ihres Sohnes nicht im Wege steht.

Es nivelliert unerbittlich, das Alter, weshalb Böhlich die obligatorischen Alterskomödiengags um Zahnprothesen, Stützstrümpfe und nächtliche Schnarchorgien auch gar nicht erst zu vermeiden sucht. Der zähe Heimalltag wird mit Bewegungstherapie, mit Plätzchenbacken und gemeinsamem Singen in erträgliche Scheibchen gespalten, und die einzige Zukunftsaussicht heißt erkennbar: Leichenwagen. Weshalb Tiedgen denn auch die Gunst der Stunde nutzt und sich dann doch nicht umbringt, als ihm eine polizeiliche Dienstwaffe sozusagen in den Schoß fällt, während der zugehörige Polizist außerdienstlich mit dem Schoß der reizenden Pflegerin Schwester Amelie beschäftigt ist. Statt sich also ins Jenseits zu schießen, entführt er kurzerhand - ein Flugzeug. Und seine Heimgenossen samt Schwester Amelie gleich mit.

Denn so gut haben die Insassen es mit ihrem Heim immerhin getroffen, dass ein Rundflug über Brandenburg mal eine Stunde Bewegung in ihre immergleichen Tage bringen soll. Ein Rundflug in einem Museumsstück, einer Junkers 52, genannt Tante Ju. Dass diese Begegnung von Mensch und historischem Fluggerät eine lose Folge von Weltkriegsgags in Gang setzt, die vom Sitzen auf Goebbels' Schoß zu Besetzungszwecken bis hin zur besatzungsbedingten Bekanntschaft mit Landebahnen auf obskuren griechischen Inseln reichen (»lange her!«), ist eine der Überraschungen dieses ansonsten doch recht milden Films. (Die andere Überraschung ist der Polizist selbst: wie kommt man, bitte schön, auf die Idee, ausgerechnet Anna Maria Mühe einen bierbäuchigen, schnurrbärtigen, schütterhaarigen Uniformträger für nächtliche Liebesspielchen an die Seite zu stellen?)

An Bord der Junkers (die stationäre, in der gedreht wurde, stammt aus dem Technikmuseum Dessau, die fliegende, über die die Kamera immer wieder mal schwebend kreist, kam erkennbar aus der Schweiz), im Flugzeug also erklärt Sander alias Tiedgen dann mal die Lage. Dass aus dem Rundflug über Brandenburg nun nämlich ein kleiner Ausflug in die mediterrane Sonne geworden sei. Kraft der dem Polizisten von Pflegerin Amelie entwendeten Dienstwaffe - denn die nehmen selbst die vorher eher als komische Figuren eingeführten Piloten mit den schönen Namen Schlepper (Tilo Prückner) und Mittwoch (Robert Stadlober) ernst. Zumal Mittwoch ohnehin nur noch dahin fliegen möchte, wo die schöne Amelie hinfliegt, und sei es zwangsweise.

Schließlich wird ganz basisdemokratisch über die Flugzeugentführung abgestimmt. Und auch wenn Schwester Amelie protestiert (und deshalb prompt ins Klo gesperrt wird, was zwar Freiheitsberaubung ist, aber warum soll es ihr besser gehen als den Heiminsassen?) und Frau Miesebach sich mal wieder nicht gegen Herrn Miesebach durchsetzen kann (Komiker Herbert Feuerstein in einer chauvinistischen Dauernörglerrolle), findet sich schnell eine Mehrheit für die Weiterreise an den Sehnsuchtsort Mittelmeer mit seinem weiten Horizont.

Beim Zwischenstopp zum Nachtanken in Wien (gedreht wurde in Leipzig/Halle) gerät die Maschine prompt in einen russischen Staatsbesuch und löst Terrorängste aus, die man zwecks unbehelligten Abflugs auch noch fleißig schürt - schließlich ist eine ehemalige Schauspielerin an Bord, die auf einen Gnadenmoment im Rampenlicht nur gewartet hat. Dass der unerwartete Auftritt als flugzeugentführende Terroristin einen improvisierten Ganzkörperschleier voraussetzt, ist allerdings eine bittere Enttäuschung - wer so maskiert spielt, ist schließlich für die Fans gar nicht richtig zu erkennen. Domröse, deren Frau Simon schon die Entführung mit hintergründigem Lächeln zu ihrer Sache gemacht hatte, legt sich auch in Wien wieder für ihr Gelingen ins Zeug. Dass das Drehbuch gerade hier meilenweit von jeder denkbaren Realität entfernt ist, so dass man glauben möchte, es stamme aus Zeiten vor 9/11, wenn nicht vor Mogadischu, ist ihr nicht anzulasten.

Die britischen Rentner des »Best Marigold Hotel« verlegten ihren Alterssitz nach Indien, die französischen aus »Und wenn wir alle zusammenziehen?« machten für den Lebensabend noch einmal eine Wohngemeinschaft auf. Bernd Böhlich schickt seine Rentner in ein letztes Abenteuer. Gemeinsam in den Süden statt gemeinsam vergammeln ist die Devise, und wenn ihnen nicht irgendwann der Treibstoff ausgegangen wäre, wer weiß, wohin das noch geführt hätte. Das Filmende kommt versöhnlich, mit Wellen, mildem Lebensfazit und ganz viel positiv stimmender Musik. Welchen Trost könnte es auch schon geben? Außer dem, das man sich in sehr hohem Alter ganz von selbst mit dem nahenden Ende versöhnt.

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