Taube im Schafspelz

»Das Schwein von Gaza« von Sylvain Estibal

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht musste ein Ausländer diesen Film machen, ein Franzose mit internationalen Verbindungen und einschlägigen Arbeitserfahrungen auch in Israel diesseits und jenseits der Mauer. Dem Fotografen und Drehbuchautor Sylvain Estibal jedenfalls ist gelungen, was man nicht für möglich gehalten hätte: eine Komödie über den Nahost-Konflikt, die Israelis und Islamisten gleichermaßen nah auf den Pelz rückt und realistische Details von Besetzung und Widerstand in eine surreale Handlung bettet, sodass man wiedererkennt, was man wiedererkennen soll, und lachen kann, ohne je den bitteren Hintergrund der realen Verhältnisse zu vergessen.

»Das Schwein von Gaza« ist märchenhaft, ohne an Relevanz zu verlieren, die Geschichte eines kleinen Mannes, der eine Lücke im physischen und gedanklichen Grenzzaun findet, weil ihm gar keine andere Wahl bleibt. Jafaar (Sasson Gabay) ist Fischer im Gaza-Streifen, ein unpolitischer, vielleicht auch nicht sonderlich religiöser Mann, nicht mehr jung, nicht sehr erfolgreich, mit einer geduldigen Ehefrau, einem israelischen Militärposten auf dem Dach seines Hauses (einer der Rekruten kommt gern mal nach unten, die brasilianische Soap mitgucken), und mehr Strandsandalen als Sardinen im Netz. Das Meer ist leergefischt und Jafaar ein Pechvogel, der nie den einen Oktopus erwischt, der vielleicht noch zu holen wäre. (Gut für den Oktopus.)

Als ihm ein feister Fang ins Netz geht, wäre also Freude angesagt, aber leider quiekt im Netz - ein Schwein. Ein Lebewesen also, das Palästinenser und religiöse Israelis im Hass eint: auf das von beiden Religionen für unrein erklärte Tier, das niemand im Gaza-Streifen auch nur anfassen mag, geschweige denn kaufen. Dass es ein vietnamesisches Hängebauchschwein ist und mithin unschuldig am ganzen Konflikt, macht keinen Unterschied. Wie Jafaar verzweifelt versucht, sich von dem Tier auf seinem engen Boot möglichst fern zu halten, wie er es erschießen will, entsorgen muss, schließlich zuhause in der Badewanne hält, wie er einen Abnehmer für das Sperma des Tieres findet, der aber mit dem Tier selbst nichts zu tun haben will, wie er nun schließlich doch Hand anlegen muss an seinen Fund - es ist ein komischer Tanz um dieses Schwein des Anstoßes.

Die handelnden Personen - ein Querschnitt der Personnage im Gaza-Streifen: der heillos überforderte UN-Ortsbeauftragte (Ulrich Tukur), der örtliche Hassprediger, der palästinensische Friseur mit Waffe und blonden Perücken, die russische Siedlerin (Myriam Tekaïa) - sie züchtet Schweine, die dürfen den Boden ihres Heiligen Landes aber nie berühren (und sind nicht zum Verzehr gedacht, sondern zum Erschnüffeln von Sprengstoff) -, der Schäfer, der Jafaar die Idee liefert, wie er sein Schwein unkenntlich machen kann, und der aalglatte Hamas-Kommandeur mit seinen Horden.

Am Ende wird sich das Schwein als verkappte Friedenstaube im Schafspelz erweisen, weil es die israelischen Soldaten und die Fußtruppen der Hamas zu gemeinsamem Vorgehen zwingt. Für Jafaar aber bleibt nur die Hoffnung auf ein irdisches Paradies, in dem Einbeinige rappen und alle Religionen miteinander auskommen können.

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