Ankara befürchtet »kurdischen Frühling«

Vorgänge in Syrien könnten Sogwirkung auf die Türkei entfalten

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieser tage teilte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu beim abendlichen Fastenbrechen im Monat Ramadan seine Vision über den künftigen Zustand der Region mit. Vor allem befürchtet Ankara eine »Libanonisierung« Syriens.

Die jetzigen Grenzen seien falsch, meinte Davutoglu. Sie hätten zwischen Qamischli (Syrien) und Mosul (Irak) »falsche Mauern« aufgerichtet. In einem Nachsatz beschwichtigte der Diplomat: Natürlich achte er die bestehenden Grenzen, aber wie in Europa solle man sie nicht so wichtig nehmen.

Davutoglu wurde in seiner Vision nicht allzu konkret. So blieb unklar, warum er das hauptsächlich von sunnitischen syrischen Kurden bewohnte Qamischli und das mehrheitlich von sunnitischen Arabern bewohnte Mosul in Irak als Beispiele auswählte. Doch ganz offensichtlich ging es ihm um eine Alternative zum neuen Albtraum der Türkei, einer »Libanonisierung« Syriens. Gemeint ist eine Zersplitterung des Landes in verschiedene Territorien.

Der Fall könnte schon eintreten, wenn Syriens Präsident Baschar al-Assad Aleppo nicht zurückgewinnen kann, dafür aber Damaskus hält. Schließlich könnten sich auch die Alewiten, eventuell zusammen mit einem Teil der christlichen Minderheiten in Syrien, aus Angst vor der sunnitischen Mehrheit hinter den Orontes zurückziehen und in diesem Gebiet behaupten. Dann würden sicher die Kurden versuchen, ein eigenes Gebiet an der türkischen Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. In türkischen Medien ist bereits davon die Rede, dass sich der »arabische Frühling« in einen »kurdischen Frühling« verwandele.

Ein Zerfall Syriens könnte auch bei den türkischen Kurden den Appetit auf eine Vereinigung mit den de facto bereits beinahe unabhängigen irakischen Kurden und dann auch mit den syrischen Kurden wecken.

Ohnehin kommen derzeit alarmierende Meldungen aus dem Osten. In der kleinen Gebirgsregion um die Stadt Sendimli hat die PKK eine Offensive gestartet und der türkischen Armee über zwei Wochen Gefechte geliefert. Am Sonntag folgten ebenfalls schwere Kämpfe im benachbarten Hakkâri.

Der PKK geht es mit solchen Gefechten vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erregen, da sie anders als die syrischen Rebellen keine Chance hat, die viel stärkere türkische Armee auf eigenem Territorium zu besiegen. Wie frühere türkische Regierungen versucht andererseits Erdogan, das Problem möglichst tief zu hängen, am besten durch Schweigen. Beliebig ignorieren lassen sich die Ereignisse im Osten allerdings nicht.

Alle Alarmglocken lässt in Ankara auch die Präsenz der Partei der Einheit und Demokratie (PYD) in Syrien läuten. Die PYD wurde 2003 von der PKK als Organisation der syrischen Kurden gegründet. Die von Salih Muslim geleitete Partei ist weiterhin ein offensichtlicher Ableger der PKK. In mehreren syrisch-kurdischen Städten hat die PYD Fahnen aufgehängt und auch Poster des gefangenen PKK-Führers Abdullah Öcalan. Außerdem konnte sie verschiedene Kontrollpunkte errichten.

Neben der PYD gibt es noch ein gutes Dutzend kurdischer Parteien, die jetzt in Syrien auftreten. Die tatsächliche Stärke der Anhängerschaft der PYD unter den syrischen Kurden ist Gegenstand von Diskussionen. Der Führer der Demokratischen Partei Kurdistans Syrien, Abdul Hakim Baschar, behauptet, die PYD könne in Syrien nur deshalb Fahnen aufhängen, weil sie mit den Sicherheitskräften des Regimes zusammenarbeite.

Schwenkt also in Wirklichkeit Assad die PKK-Fahne, um die ihm nun feindliche Türkei zu erschrecken? Da mag einiges dran wahr sein, doch so sehr Abdul Hakim Baschar den PKK-Ableger PYD auch beschuldigt, die Zusammenarbeit mit der PYD hat er nicht eingestellt. Baschars Partei ist selbst ein Ableger von Mesud Barsanis Demokratischer Partei Kurdistans Irak. Das Verhältnis Barsanis zur Türkei ist ein eigenes Kapitel und derzeit nicht einmal schlecht. Trotzdem ist der Arm Ankaras nicht stark genug, um Barsani und PYD zu entzweien.

Doch nicht nur mit der PYD hat die Türkei in Syrien Probleme. Zweimal hat sich Davutoglu mit Vertretern der kurdischen Opposition in Syrien getroffen. Dabei hat er das türkische Modell als Lösung der Kurdenfrage auch für Syrien empfohlen. Danach könnten Kurden zwar Abgeordnete oder Minister sein, aber nicht auf der Grundlage einer kurdischen Identität. Die kurdischen Parteien lehnten das türkische Modell indessen dankend ab.

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