Kritik von links an Hollande

Mélenchon nennt die Politik des französischen Präsidenten »sozialliberal«

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Jean-Luc Mélenchon, der Europa-Abgeordnete und ehemalige Präsidentschaftskandidat der Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken, geht mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande und seiner Regierung nach ihren ersten 100 Tagen im Amt scharf ins Gericht.

Hollandes erste hundert Tage im Amt waren »fast komplett verlorene Zeit«, so das vernichtende Urteil Mélenchons in einem Zeitungs- und in einem Rundfunkinterview am Wochenende. Hollande sei vor allem damit beschäftigt, den explosiven Gehalt des Linksvotums der Wähler bei den Präsidentschaftswahlen zu entschärfen. Er tue so, als sei alles nur eine Frage unterschiedlicher Persönlichkeiten, nun habe ein »normaler« einen »überdrehten« Staatschef abgelöst. »Er will uns weismachen, dass normal gleichbedeutend ist mit sozialliberal«, empört sich Mélenchon. »Die Linke kehrt nach zehn Jahren wieder zurück an die Hebel der Macht, und was sie als Erstes in Angriff nimmt, ist ein Nachtragshaushalt und ein Gesetz gegen sexuell motiviertes Mobbing.« Als ob man zunächst nicht mit anderen Hinterlassenschaften der Ära Sarkozy aufräumen müsse.

Warum, so fragt Mélenchon etwa, sei nicht gegen die Welle von Massenentlassungen und Firmenpleiten ein Gesetz gegen börsenorientierte Entlassungen in Angriff genommen worden? Einen solchen Entwurf habe der Senat bereits mit der Mehrheit aller Linken verabschiedet. Doch die neue Regierung der Sozialisten habe es überhaupt nicht eilig, das Gesetz auch in der Nationalversammlung vorzulegen und damit seine Umsetzung zu ermöglichen. »Und warum wird immer noch gezögert mit einem Gesetz, das den Banken und Finanzmärkten klare Regeln vorgibt?« Man habe der Finanzwelt viel zu lange freie Hand gelassen und dürfe dem Kräftemessen mit ihr nicht aus dem Weg gehen. »Schließlich ging es beim Votum der Wähler gegen Sarkozy nicht zuletzt darum.«

Hollande habe nicht die dringendsten Probleme angepackt, sondern stattdessen zu allen Themen erst einmal Arbeitsgruppen oder Expertenkomitees gebildet. »Ich habe den Eindruck, dass wir von der Linksfront besser auf die Machtausübung vorbereitet gewesen wären als die Sozialisten«, meint Mélenchon. »Wir haben jede Menge Gesetzentwürfe in der Schublade und wir wären jederzeit in der Lage, auf der Grundlage unseres Programms sofort eine Regierung zu bilden.«

Die nächste große politische Etappe sei die Wahl für das Europäische Parlament 2014. »Dabei werden die Franzosen nicht nur über die Kräfteverteilung zwischen Linken und Rechten entscheiden, sondern auch innerhalb der Linken«, ist Mélenchon überzeugt. »Mit der Präsidentschaftswahl haben wir da bereits eine große Bresche geschlagen. Wir sind eine mögliche Alternative. Unsere Zeit wird kommen!«

Im unmittelbar bevorstehenden Kampf gehe es um die Ratifizierung des Fiskalpakts der EU. Während Hollande, der am Donnerstag zu einem Arbeitsbesuch in Berlin erwartet wird, den Pakt mit einem einfachen Gesetz, für das ihm die Mehrheit der Sozialisten im Parlament reicht, ohne große Diskussion verabschieden lassen will, kämpfe die Linksfront für ein Referendum zu dieser Frage. Mit seiner Forderung nach einer »Nachbesserung« des Fiskalpakts habe François Hollande der Öffentlichkeit »eine Komödie vorgespielt«. Seine Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs der EU endeten mit einer »glatten Kapitulation«, der Vertrag schränke die Handlungsfähigkeit der Staaten ein und schreibe »Maßhaltepolitik für immer und ewig« fest, urteilt Mélenchon.

»Hollande ist ein Sozialliberaler wie jene, die Griechenland, Spanien und Portugal ins Desaster geführt haben.« Allein davon, dass er »normal« sein wolle, werde es die Situation noch nicht. »Wer macht ihm endlich klar, dass der Kapitalismus in der Krise steckt, dass das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen ist, dass Europa tief in den roten Zahlen steckt und auf den Abgrund zusteuert?«, fragt Mélenchon.

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