Ein Helm auf Reisen

Die Insel Giglio ist mehr als nur der Katastrophenort der Costa Concordia

  • Vera Lewin
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor dem toskanischen Eiland liegt das Wrack des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia. Die Insel hat Schätze zu bieten - und nicht bloß Kulissen für spektakuläre Untergänge.

Giglio - bezaubernde kleine Insel vor der toskanischen Küste, felsig und grün, die Hänge mit Blüten bedeckt die meisten Monate im Jahr, umgeben von kristallklarem Wasser, eine Schönheit im Tyrrhenischen Meer. Allerdings seit Januar mit dem Schandfleck der gekenterten Costa Concordia vor sich, an deren Bergung noch immer gearbeitet wird.

Ungerecht, dass die Welt Giglio durch diese Havarie zur Kenntnis nahm; es gäbe viel mehr zu berichten. Von einer langen Geschichte etwa: In der Antike gehörte die Insel zum Besitz der Familie des Kaisers Tiberius, wovon allerdings nur auf der noch kleineren Nachbarinsel Giannutri ein sichtbarer Rest eines Sommerpalastes geblieben ist. Die 1500 Einwohner von Giglio haben andere Zeugnisse ihrer langen Geschichte, sie werden gesammelt im neuen Museum auf der hochgelegenen Burg.

Hier fand kürzlich ein festlicher Abend statt, der dem größten historischen Schatz der Insel gewidmet war: einem Helm aus Bronze, verziert an den Seiten mit Zeichnungen wilder Eber, über der Nase und den Brauen mit Schlangen und einem Blütenmotiv. Er ist mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt, er wurde 1962 aus einem vor Giglio untergegangenen Schiff geborgen. Es war die Frühzeit des Tauchens als Massensport - Touristen aus wohlhabenden Ländern kamen mit dem modernsten Equipment, das ihnen erlaubte, tief genug zu tauchen, um das Wrack eines altgriechischen Handelsschiffes vom Anfang des 6.J ahrhunderts vor Chr. zu finden und seine Schätze ans Licht zu heben. Darunter diesen Helm, eine Arbeit höchster Qualität.

Dazu der britische Archäologe Mensun Bound: »Ich habe alle existierenden griechischen Helme gesehen, dieser ist bei weitem der schönste.« Der sensationelle Fund verschwand allerdings sofort, einer der Taucher hat ihn mitgehen lassen. Das war zur damaligen Zeit nicht unüblich, wenn auch schon damals außerhalb des Gesetzes.

Anhand der Notizen des damaligen Tauchlehrers hat 20 Jahre später der Oxforder Meeresarchäologe Mensun Bound die Spur des Helms verfolgt und wurde fündig: Der Taucher Franz G. aus München hat den Helm »mitgenommen«, ihn reinigen und restaurieren lassen; er bewahrte ihn in einem Hamburger Bankschließfach auf. Ein pragmatisches Abkommen ermöglichte es Bound, den Helm zu fotografieren und zu vermessen, so dass fortan wenigstens in der Wissenschaft das Objekt dokumentiert, in Grenzen und im Kontext von Bounds eigner Expedition nach Giglio erforscht und sein unschätzbarer Wert bestimmt werden konnte.

Aber zurückgekehrt nach Giglio oder Italien ist er bis heute nicht. Im letzten Jahrzehnt mehrten sich jedoch die Stimmen, die das schöne Stück zurückforderten. Daniela Alecu, italienische Altertumswissenschaftlerin schrieb im Jahr 2008, sie wisse nicht, wie die Einwohner von Giglio und die übrigen 60 Millionen legitimen Eigentümer des Helms darüber dächten, aber sie wolle den Helm zurück, er gehöre zur Insel wie das Colosseum zu Rom. Inzwischen ist die eigene Geschichte ein Thema auf der Insel, und man hat ein konkretes Ziel. Das neue Museum soll die Heimstätte des Helms werden.

Bürgermeister Ortelli: Der Helm soll ein Symbol der Insel sein, die immer vom Meer gelebt habe, und vom Meer sei auch der Helm gekommen. Höhepunkt des erwähnten festlichen Abends war die Übergabe einer genauen Kopie des Helms, aus Bronze, mit den Verzierungen, exakt in der Größe, hergestellt vom Künstler Marco Brandaglia. Vorläufig wird also diese Kopie im Museum stellvertretend für das Original stehen.

Eindringlich wandte sich der Bürgermeister an die Öffentlichkeit und speziell an den - »wer es auch immer sei« - derzeitigen Besitzer des Helms. Er forderte ihn auf, als Ehrengast zur Installierung des Originals im Museum von Giglio zu kommen.

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