Griechische Verhältnisse in Hessens Kommunen?

»Rettungsschirm« für Gemeinden und Städte sorgt für Kritik

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hessen laufen die Verhandlungen für einen kommunalen Rettungsschirm. Opposition und Gewerkschaften fürchten, dass durch die von der schwarz-gelben Landesregierung geforderten Privatisierungen und Kürzungen die kommunale Selbstverwaltung weiter beschnitten wird.

Gut ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl will sich die hessische CDU-FDP-Landesregierung mit einem »Rettungsschirm« für finanziell angeschlagene Kommunen als »Retter in der Not« profilieren. Dem Vernehmen nach erhoffen sich rund 100 Kommunen in Hessen davon einen Abbau ihrer Defizite.

In Frage kommen etliche kleinere Landgemeinden ebenso wie die Städte Kassel, Offenbach, Darmstadt und Gießen. In diesen Wochen laufen Verhandlungen zwischen dem Wiesbadener Innenministerium und den Vertretern der betroffenen Kommunen. Grundlage sind eine Anfang 2012 zwischen Landesregierung und kommunalen Spitzenverbänden abgeschlossene Rahmenvereinbarung und ein vom Landtag beschlossenes Kommunales Schutzschirmgesetz. Dies sieht Landeshilfen in Höhe von über drei Milliarden Euro zur Rückführung der kommunalen Schulden vor.

Ein »vergiftetes Angebot«

Kritiker bemängeln, dass die Landesregierung damit den Kommunen nur einen Teil der Summe zur Verfügung stellen will, die sie ihnen jahrelang etwa durch eine dauerhafte Kürzung der Landeszuweisungen vorenthalten hat. »Unter dem Deckmantel der Haushaltssanierung wird die kommunale Selbstverwaltung mit Absicht weiter eingeschränkt«, warnt Stefan Körzell, DGB-Landeschef für Hessen und Thüringen. Steuerrechtsänderungen auf Bundes- und Landesebene seit 1998 dürften allein im Jahr 2011 Einnahmeausfälle der hessischen Kommunen in Höhe von über 1,2 Milliarden Euro zur Folge gehabt haben, so Kai Eicker-Wolf von der Abteilung Wirtschafts- und Strukturpolitik in dem DGB-Bezirk.

Aufsehen erregten die vom Innenministerium zusammen mit dem Landesrechnungshof in einem Leitfaden zum »Rettungsschirm« aufgelisteten Bedingungen und Forderungen nach »erheblichen Kraftanstrengungen« der betroffenen Kommunen als »Voraussetzung für die Solidarität des Landes und der kommunalen Familie«. Dazu gehören Lohn- und Personalkürzungen, Einschnitte im Bildungs- und Sozialbereich, Gebührenerhöhungen, Privatisierungen und Leistungskürzungen.

So warnte der Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, Burkhard Albers (SPD), die Gemeinden vor einem »vergifteten Angebot« des Landes. Die hessische LINKE spricht von einer »Knebelveranstaltung«. Zwar wurde dieser Auflagenkatalog später offiziell zurückgenommen, wohl die schwarz-gelbe Koalition vor der Landtagswahl nicht »Öl ins Feuer« gießen will. Er zeigt aber, wohin die Reise auch bei den aktuellen Verhandlungen mit den Vertretern der klammen Kommunen über Einzelvereinbarungen gehen dürfte. In den Rathäusern, die bis Herbst eine Vereinbarung mit dem Innenministerium eingehen, müssen die Kommunalparlamente die Verträge bis Jahresende absegnen. Ob dies reibungslos vonstatten gehen und das »böse Erwachen« erst später kommt, muss sich zeigen.

Derzeit deuten zwar aktuelle Meldungen auf eine Verbesserung der Einnahmen etlicher Kommunen als Folge der 2010 und 2011 wieder anziehenden Konjunktur hin. Doch Kai Eicker-Wolf rät zu Vorsicht: »Warten wir mal das Jahresende ab«. Er ist darüber besorgt, dass viele hessische Kommunen nur noch mit Hilfe von Kassenkrediten finanziell liquide bleiben.

Überleben nur auf Pump

Kassenkredite sollten im Gegensatz zu langfristigen Krediten ursprünglich der Überbrückung kurzfristiger Engpässe dienen und werden oft mit dem Dispokredit bei einem Girokonto verglichen. Dass sie für etliche Kommunen inzwischen zu einem Dauerfinanzierungsinstrument geworden sind und als eigentlich verbotenes Mittel zunehmend zur Finanzierung von laufenden Ausgaben eingesetzt werden, belegt den Ernst der Lage. Im Vergleich der 13 Flächenländer gehört Hessen mit 1048 Euro Kassenkrediten pro Kopf im Jahre 2011 zur Spitzengruppe und liegt hinter dem Saarland (1775 Euro), Rheinland-Pfalz (1444 Euro) und NRW (1237 Euro) auf Rang vier. »Entwarnung ist also nicht angesagt«, so Eicker-Wolf.

Der Gewerkschafter geht davon aus, dass unabhängig vom Ausgang der Eurokrise eine konjunkturelle Abkühlung sich auf die Kommunalfinanzen auswirken und die Gewerbesteuereinnahmen schrumpfen lassen werde. Dem müsse mit höheren Staatsausgaben und »Steuererhöhungen an der richtigen Stelle« begegnet werden. Dazu gehören eine Weiterentwicklung der Gewerbe- zur Gemeindewirtschaftssteuer mit Einbeziehung der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Eine Vermögenssteuer mit einem Satz von einem Prozent könne dem Land Hessen rund 1,5 Milliarden Euro und den Kommunen nach derzeitigem Rechtsstand automatisch 350 Millionen Euro in die Kassen spülen, sagt Eicker-Wolf.

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