Kurz gedacht
Standpunkt von Uwe Kalbe
Es ist sicher von Belang, wenn Bundespräsident Gauck und Ministerpräsident Sellering dem Gedenken an das Pogrom vor 20 Jahren in Rostock persönlich Gewicht verleihen, wenn die Öffentlichkeit in diesen Tagen die Botschaft verbreitete, dass brandschatzende Neonazis und applaudierende »Normalbürger« sich außerhalb der Gesellschaft begeben. Zugleich ist wenig Grund für Zuversicht, dass Gaucks Rede den Hass überdauert, den er als Brandbeschleuniger identifiziert. Dass aus kurzem Gedenken mehr erwächst als flüchtiges Denken.
So begann die Katastrophe von Rostock-Lichtenhagen nicht mit der Verunsicherung sozial entwurzelter DDR-Bürger, wie Gauck sie zu Recht vermerkt. Oder mit der Zerstörungswut von Extremisten, wie in den Beschreibungen der Ereignisse vor 20 Jahren in sturer Blindheit gegenüber der zerklüfteten Wirklichkeit nachzulesen ist. Schon vorher war der Hass von neuer großdeutscher Außenpolitik auf dem Balkan händereibend geschürt worden. Zu den in der Folge Entwurzelten zählte ein großer Teil der Flüchtlinge von Lichtenhagen.
Und die Katastrophe mündete in die Abschaffung des uneingeschränkten Asylrechts, in die Denunzierung von Menschen in Not als unberechtigt Flüchtige. Sie hat ihre Ausläufer in grundrechtswidrig kargen Sozialleistungen, in Mobilitäts- und Arbeitsverboten für Asylbewerber. Der von Gauck beklagte Hass wird sekundiert vom staatlichen Misstrauen gegenüber Initiativen und Vereinen, die schon lange zeigen, was Gauck fordert: Mut. Gegen Rassismus.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.