Schleswig-Holstein beweist Reife

Sinti und Roma sollen Status einer nationalen Minderheit erhalten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Renate Schnack ist seit 1. Juli die Minderheitenbeauftragte Schleswig-Holsteins. Sie berät den Ministerpräsidenten zu Fragen der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe sowie der Sinti und Roma. Über das Vorhaben der Landesregierung, Letzteren den Status einer nationalen Minderheit zuzuerkennen, sprach Uwe Kalbe mit ihr.
nd: Der Landtag in Kiel entscheidet derzeit darüber, ob die Sinti und Roma in Schleswig-Holstein als Minderheit Verfassungsrang erhalten. Ministerpräsident Torsten Albig brachte den Antrag persönlich ein. Dies ist der sechste Anlauf im Landesparlament und einer der ersten Anträge der neuen Koalition von SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband. Lag der Entwurf noch in einer Schublade der letzten Regierung oder ist das Anliegen besonders dringlich?
Schnack: Die Eile ist dem ausdrücklichen Wunsch der neuen Landesregierung geschuldet, endlich eine Gerechtigkeitslücke zu schließen. Es darf keine Minderheiten erster und zweiter Klasse geben, und während Friesen und Dänen den Status seit langem genießen, steht dieser für Sinti und Roma noch aus. Anders als bei den fünf bisherigen Versuchen scheint eine qualifizierte Mehrheit im Landtag jetzt allerdings einer Änderung der Landesverfassung zustimmen zu wollen.

Seit 1998 ist den Sinti und Roma der Minderheitenstatus auf Bundesebene zuerkannt, damals trat das Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten in Deutschland in Kraft. Wozu braucht es eine extra Regelung in Schleswig-Holstein?
Dieses Rahmenabkommen hat eine wichtige gesetzgeberische Grundlage geschaffen. Doch Schutz und Förderung werden unterhalb dieser Ebene formuliert und im Land und den Kommunen umgesetzt. Je dichter man dem Alltag der Menschen kommt, umso konkreter wird der Handlungsbedarf. Schutz und Förderung wurden den Sinti und Roma bei uns im Lande auch bisher zuteil, doch bisher war dies Ergebnis eines politischen Willens. Einen Anspruch gab es nicht, den werden sie erst haben, wenn dieser auch in der Landesverfassung verankert ist. Ich betrachte das Bekenntnis auch als Zeichen der Reife, der inneren Verfasstheit unseres Landes.

Inwiefern?
Die Identität des Landes Schleswig-Holstein hängt auch mit ihrer Existenz zusammen. Sinti und Roma sind eine autochthone Bevölkerungsgruppe.

Das heißt, eine, deren Wurzeln hier liegen und die nicht als zugewandert gilt.
Autochthonie ist das Kriterium, nach der die Entscheidung gefällt werden muss, ob es sich bei einer Bevölkerungsgruppe um eine nationale Minderheit handelt oder um eine ethnische oder andere Gruppierung. In Schleswig-Holstein sind Sinti und Roma spätestens seit 1417 ansässig, dafür gibt es den urkundlichen Nachweis.

Die CDU wendet ein, dass Sinti und Roma keine landesspezifische Minderheit sind, sondern bundesweit verteilt sind.
Wenn damit der Status der autochthonen Minderheit in Frage gestellt wird, ist dies ein verletzendes Argument. Damit wird das Klischee des Fremden bedient. Und es ist falsch. Zum Teil können Sinti und Roma ihre Vorfahren in Schleswig-Holstein weiter zurückverfolgen als Menschen, die von sich ganz selbstverständlich behaupten, dass sie Alteingesessene sind.

Müssten dann nicht auch andere Bundesländer einen dringenden Handlungsbedarf sehen?
Für unser Bundesland ist diese Frage von besonderem Interesse, weil es hier gleich drei alteingesessene Minderheiten gibt und die Sinti und Roma den anderen gegenüber bisher benachteiligt sind.

Wird die Verfassungsänderung diesmal gelingen?
Neben den drei Koalitionsparteien haben auch FDP und Piraten Zustimmung signalisiert, das müsste für eine qualifizierte Mehrheit reichen. Ich bin überzeugt, dass auch CDU-Abgeordnete zustimmen würden. Dafür müsste allerdings die CDU die Größe haben, ihren Abgeordneten die Abstimmung frei zu stellen. Offiziell heißt es, es gebe noch Beratungsbedarf.

Was ändert sich für Sinti und Roma mit einer Verfassungsänderung konkret?
Für den Alltag ergibt ein solch hochrangiges politisches Signal auf den ersten Blick nicht viel Veränderung, die bisherigen Zuwendungen des Landes und der Kommunen bleiben, allerdings gibt es nun den Anspruch auf diese, unabhängig etwa von Regierungswechseln. Es wird ein beratendes Gremium für die Belange der Sinti und Roma geben. Den Vorsitz übernimmt der amtierende Landtagspräsident, das ist der frühere Innenminister von Schleswig-Holstein Klaus Schlie,

Von der CDU ...
Er hat sich gründlich mit der Materie beschäftigt, er wird ein exzellenter Vorsitzender sein.

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