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Notizen aus Venedig

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Einige expressive, wenn auch nicht unbedingt immer treffende Bilder hat Goethe in Venedig gefunden. »Biberrepublik« nennt er die Stadt auf dem Meer, als er Ende September 1786 hierher kommt. Das klingt nach redlicher Arbeit und Unscheinbarkeit. Beides lag Venedig schon damals fern.

So ganz behaglich ist es Goethe - wie so manch anderem Reisenden der Zeit - nicht in Venedig, die Zeit der Bleikammern ist noch nicht vorbei, und der letzte Doge Lodovico Manin wird erst gut ein Jahrzehnt später von Napoleon zum Abtreten gezwungen werden. Goethe erlebt ihn bei einem Hochamte aus Anlass eines lang zurückliegenden Sieges über die Türken: »Der Doge ist ein schön gewachsener Mann, der krank sein mag, sich aber nur noch so, um der Würde willen, unter dem schweren Rocke gerade hält, sonst sieht er aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts ...« Als er dann später vor Napoleon steht und seinen Dogenstab für immer in Museum geben muss, wird er -- nicht von Goethe allerdings - mit einem »bekümmerten Stubenmädchen« verglichen.

Über Napoleon streitet man hier immer noch erbittert, sogar gegen ihn demonstriert wurde schon, was beweist, dass die Geschichte in Venedig nie vorbei ist. Die echten Venezianer haben es Napoleon nie verziehen, dass mit ihm die Selbstständigkeit der Republik Venedig endete. Es gibt heute immer noch venezianische Separatisten, die von einem eigenständigen Venedig träumen - vermutlich unter Wiederherstellung der Seemachtstellung.

Gewiss, Napoleon hat diese Stadt etwas mehr zu jenem Biberbau gemacht, den bereits Goethe in ihr sah - was heißt, er hat ihr eine Winzigkeit von ihrem feudalen und klerikalen Dünkel ausgetrieben. Einige Kirchen wurden umgehend zu weltlichen Zweckbauten umfunktioniert. So enteignete er die Mönche des Klosters Giovanni e Paolo und ließ hier der Stadt ein Krankenhaus bauen, das sich immer noch in dem alten Klostergebäude befindet. Und auch die Dominikaner -Mönche nebenan sind noch da. Napoleon ließ auch einen Kanal zuschütten, so dass

Venedig heute ein kleines Stück Boulevard hat: die Via Garibaldi. Und er gab den Juden der Stadt das Bürgerrecht.

Das klingt alles nicht schlecht - aber er kam nun mal als Besatzer, das verhinderte allzu freundliche Gefühle. Ein Napoleon-Denkmal direkt auf dem Markusplatz kündete von seiner Machtstellung. Um dieses Denkmal ging der Streit vor einigen Jahren. Irgendwie hatten die Venezianer es geschafft, es unauffällig verschwinden zu lassen, aber dann tauchte es wieder auf: bei Sotheby's in London! Und ein französischer (!) Fonds zur Rettung Venedigs ersteigerte es heimtückischer Weise für dreihunderttausend Euro, wie FAZ-Korrespondent Dirk Schümer berichtet. Wohin nun damit? Es in Venedig aufstellen, gar auf dem Markusplatz? Es gab fast eine Revolte in der Stadt. Der Sprecher der Venedig-Separatisten (denen es einmal sogar gelungen war, einen Panzer auf den Markusplatz als Sinnbild ihrer Ziele in Stellung zu bringen, was allerdings scharfe Sanktionen zur Folge hatte), verstieg sich zu dem Vergleich, das wäre, »als würde der Bürgermeister von New York in der Stadt ein Denkmal von Bin Laden aufstellen«. Wo das Napoleon-Denkmal hingekommen ist? Keine Ahnung - und einen Venezianer fragt man besser nicht danach.

Überhaupt, immer wenn man meint, die Stadt und ihre Einwohner etwas besser verstanden zu haben, wird man wieder von einer neuen Volte überrascht. Die Stadt gibt sich den Anschein einer alten, solide verfassten Chronik, ist aber im Grunde doch eher ein launiges Feuilleton. Das ist auf alle Fälle amüsant, manchmal auch lehrreich. Als mich mein Computer-Sicherheitsprogramm nachdrücklich vor den ungesicherten Drahtlosnetzwerken der Stadt warnte, die ich sonst leichtsinnig nutze, suchte ich auf Giudecca lange vergeblich nach einem öffentlichen Internetcafé. Endlich stand ich vor dem Rathaus dieses Stadtteils. Dort gibt es für jedermann kostenloses Internet, in einem großen Raum mit ungefähr zwanzig Plätzen, gleich neben der Bibliothek. Ein älterer Herr am Eingang zeigte mir einen freien Platz -

und das war es auch schon. Keine Personalien, kein Formular, keine Gebühr. Das sind die Dinge, die wir schon nicht mehr für möglich halten, so neoliberal trainiert sind wir inzwischen.

Als ich einmal ins Ospedale musste, lief es dort ebenso ab - hinterher wartete ich natürlich darauf, dass mir jemand eine Rechnung stellt. Aber das interessierte dort niemanden. Staatliche Krankenhäuser behandeln hier in der Regel umsonst. Sind das nicht die schönsten, weil humansten Formen von Reichtum, den sich eine Gesellschaft überhaupt leisten kann? Aber darüber sollte man besser gar nichts schreiben, denn sonst steht das gleich im nächsten Sparkatalog von Frau Merkel für ihren Kollegen Monti.

Goethe übrigens verband mit Napoleon so einiges. Seine Leidenschaft für Stadtplanung etwa, Straßen- und Brückenbau. Infrastruktur als deutsch-französisches Hobby! Von Straßenbau halten die Venezianer verständlicherweise überhaupt nichts. Goethe missfiel als erstes der Schmutz - und stöhnte: »Wenn sie ihre Stadt nur etwas reinlicher hielten ...« Doch dann erwachte sofort der angehende Weimarer Minister in ihm: »Ich konnte nicht unterlassen, gleich im Spazierengehen eine Anordnung deshalb zu entwerfen und einem Polizeivorsteher, dem es Ernst wäre, in Gedanken vorzuarbeiten. So hat man immer Trieb und Lust vor fremden Türen zu kehren.« So etwas klingt in Venezianischen Ohren fatal nach Napoleon. Vielleicht gibt es demnächst auch Anti-Goethe-Demonstrationen?

Der empfahl sich der »Biberrepublik« übrigens mit einer merkwürdigen, fast wie eine Drohung klingenden Bemerkung: »Ich verlasse Venedig gern; denn um mit Vergnügen und Nutzen zu bleiben, müßte ich andere Schritte tun, die außer meinem Plan liegen ...« So sind sie eben, die Deutschen.

(Fortsetzung folgt)

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