Vergessene Konflikte

Gastkolumne von Dr. Ulrike von Pilar

  • Ulrike von Pilar
  • Lesedauer: 3 Min.

Hunger in Somalia, Bürgerkriege als Folge der Umwälzungen im Nahen Osten, Cholera in Haiti - der Jahresbericht von Ärzte ohne Grenzen liest sich wie ein Katalog des Leidens der Menschen, die sich durch Gewalt, Katastrophen oder Epidemien in lebensgefährlichen Situationen befinden. Sehr oft ist die Not von Menschen verursacht: 60 Prozent der Projekte liegen in Konfliktgebieten oder unsicheren Regionen. Aus den Nachrichten kennt man aber nur eine Handvoll dieser Länder: Syrien, Afghanistan, vielleicht Mali, eventuell Somalia - und dann wird es schon schwierig. Wir arbeiten demnach vor allem an Orten und für Menschen, von denen man fast nie hört.

Ein besonders drastisches Beispiel: der Osten der Demokratischen Republik Kongo. Seit bald 20 Jahren sind die Menschen regelmäßig heftiger Gewalt zwischen verfeindeten Gruppen ausgesetzt. Diese Kämpfe sind zum Teil immer noch Folgen des Völkermords in Ruanda 1994, den die internationale Gemeinschaft nicht verhindert hat. Das Ausmaß der Gewalt ist für uns unvorstellbar, und eine Kollegin berichtete kürzlich, dass die Gewalt schrecklicherweise von der Bevölkerung fast schon als »normal« empfunden wird. Aufgrund der Sicherheitsprobleme erreichen Patienten oft nicht rechtzeitig die Gesundheitszentren, viele sterben an behandelbaren Krankheiten - Durchfall, Masern, Malaria - oder an Mangelernährung.

Auch wir müssen immer wieder Programme wie dringend nötige Impfkampagnen absagen, weil auch für unsere Mitarbeiter das Risiko zu hoch ist. So müssen wir erleben, dass Kinder an Masern sterben. Mobile Teams, die in die Dörfer gehen, können wenigstens einige derer versorgen, die Angst haben, sich auf den Weg ins Gesundheitszentrum zu machen: Neulich haben in einem Projekt von 330 Babys 320 die Geburt überlebt - ein Fest! Denn die Säuglingssterblichkeit ist in der Regel erschreckend hoch.

Die Zentralafrikanische Republik ist ein weiteres medizinisches Notgebiet. In einigen Regionen liefern sich die Armee und verschiedene Milizen seit mehr als zehn Jahren bewaffnete Auseinandersetzungen. Die Bevölkerung dort ist regelmäßig extremer Gewalt ausgesetzt und die Infrastruktur ist zerstört. Doch selbst an relativ friedlichen Orten sind die Sterblichkeitsraten so hoch wie anderswo im Krieg. Todesursache Nummer eins ist die Malaria - eine Krankheit, die man behandeln kann - aber das Land ist so arm, dass immer wieder die Medikamente fehlen. 1300 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen haben 2011 mehr als 600 000 Patienten behandelt, aber eine humanitäre Organisation kann nicht die Versorgung eines Landes garantieren. Dafür braucht es auch massive internationale Unterstützung - und die fehlt.

Dies sind nur Schlaglichter auf zwei der vielen vergessenen Krisen in denen wir versuchen, Menschen unter extrem harten Bedingungen ein Minimum an medizinischer Versorgung zu bringen. Die Leidtragenden dieser Krisen benötigen Hilfe - und dringend mehr Aufmerksamkeit, in der Öffentlichkeit und auch in der Politik.

Manchmal frage ich mich zum Beispiel, warum man selbst vom Bundesbeauftragten für humanitäre Hilfe so selten ein Wort dazu hört.

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