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Glaube an den ewig wachsenden Welthandel

In Wilhelmshaven wird heute der erste deutsche Tiefwasserhafen eröffnet. Am Jade-Busen droht eine Jahrhundertpleite

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutschland bekommt heute seinen ersten Tiefwasserhafen. Allerdings konkurrieren zu viele Häfen in Europa um zu wenig Schiffsladung.

Er gilt als ein Jahrhundertprojekt wie Stuttgart 21, der Flughafen BER oder der Fehmarnbelttunnel - und ist genauso umstritten: Wenn der Jade-Weser-Port (JWP) heute seine Kaje für Containerschiffsriesen öffnet, gibt es trotz jahrelangem Vorlauf erst einen festen Kunden. Das Megaprojekt droht wirtschaftlich zu scheitern.

Die Konkurrenz hat nicht geschlafen. Der North Sea Terminal in Bremerhaven - nach Hamburg die Nummer zwei unter Deutschlands Seehäfen - wird nicht einen Containerliniendienst verlieren. Die weltgrößte Reederei Maersk, obwohl am JWP beteiligt, will selbst mit den Schiffen, die Wilhelmshaven anlaufen, weiter auch Bremerhaven bedienen. Sogar die Riesen der »Emma-Maersk«-Klasse, die etwa 15 000 Standardcontainer (TEU) laden können und rund 400 Meter lang sind, sollen Bremerhaven weiterhin als einzigen deutschen Hafen anlaufen. Dabei setzt der Jade-Weser-Port alles auf die Karte »Riesenschiffe«, denn er ist der erste echte, von Ebbe und Flut unabhängige Tiefwasserhafen in Deutschland.

Man glaubt in Wilhelmshaven an einen anhaltenden Boom des Welthandels, der zum größten Teil über die Meere verläuft. Mehr als 100 neue Schiffsriesen werden allein in diesem und im kommenden Jahr der Weltflotte zulaufen. Allerdings kann Bremerhaven sie besser bedienen als Wilhelmshaven, und immer mehr Giganten durchlaufen das »Tor zur Welt«: Der Hamburger Hafen ist sogar ohne die begonnene neunte Elbvertiefung für alle Reedereien erreichbar, da die Hansestadt am Ende der sogenannten Nordrange liegt - über diese wichtigsten kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee werden etwa 80 Prozent des EU-Außenhandels abgewickelt, insbesondere die mächtigen Warenströme zwischen Asien und Europa. Bevor ein Schiff Hamburg erreicht, wurden tausende Container in den Häfen Antwerpen und Rotterdam entladen. Dadurch leichter, können alle Seegiganten die vergleichsweise flache Elbe befahren, wenngleich nur in einem engen Zeitfenster mit der Flut.

Das wirtschaftliche Hinterland des Marinestützpunktes Wilhelmshaven ist das Ruhrgebiet. Doch das wird vor allem über Rotterdam und belgische Häfen versorgt, dann über die Rheinschiene per Binnenschiff und schneller Bahntrasse. Diese Seehäfen sind jederzeit für jede Schiffsgröße erreichbar - und erweitern ihre Kapazitäten und Hinterlandanbindungen rasant. Dagegen wird der Jade-Weser-Port trotz Ausbaus in den nächsten Monaten nur auf einen eher provinziellen Bahnanschluss zählen können. Obendrein fehlt der kaum noch 80 000 Einwohner zählenden Stadt im dünn bevölkerten Ostfriesland eine Me-tropolregion wie es sie um Hamburg und Bremen gibt. Dort wird ein Großteil der Schiffsladungen direkt verbraucht oder weiterverarbeitet und veredelt. Allein am Hamburger Hafen hängen etwa 150 000 Arbeitsplätze.

Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) nannte im Oktober 2000 die Einigung mit den beiden ebenfalls sozialdemokratisch regierten Hansestädten Hamburg und Bremen »historisch«. Für das ökologische Gütesiegel sorgte der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin mit einer passenden Studie. Der neue Tiefwasserhafen sollte das Ausbaggern von Weser und Elbe verhindern. Doch dahinter stand der Glaube an die Globalisierung und immer weiter wachsende Handelsströme. Bremen finanzierte den neuen Hafen mit, Hamburg stieg später aus. Wohl auch aus Weitsicht: Damals gaben Prognosen den Ton an, welche die Zukunft bizarr überzeichneten. Tatsächlich werden in Hamburg dieses Jahr etwa 9 Millionen TEU umgeschlagen - vorhergesagt waren 15 bis 20 Millionen.

Reedereien und Werften müssen bereits für ihren damaligen blinden Optimismus bluten. Immer mehr neue Schiffe treffen auf eine verhaltene Nachfrage nach Transportkapazitäten. Seit 2011 wurden hunderte Neubauten storniert, und viele, auch deutsche Reedereien wandeln am Rande der Pleite. Die Überkapazitäten verdarben nämlich die Preise für Schiffsraum. Zudem wachsen angesichts der Lage der Weltwirtschaft die Zweifel, ob in den kommenden Jahrzehnten wirklich immer mehr Konsumprodukte um den Erdball verschifft werden und die globale Arbeitsteilung der Industrie sich weiter ausdehnt. Davon gingen aber die Planer des Jade-Weser-Ports fest aus. Am Jadebusen droht daher eine Jahrhundertpleite.

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