»Die können mich mal«
Die Autobiographie von Salman Rushdie
Was macht Ihnen Angst, welche Art Gewalt? Schläge, Stiche, Schüsse? Dass Sie überfallen, gefesselt, entführt werden? Wie wäre es mit einer Morddrohung, einem Kopfgeld, zahllosen Killern ohne Namen und Gesicht? Nehmen wir an, Sie mögen Thriller, die gute Durchschnittsware von Ken Follett, John Grisham, irrwitzig und paranoid. Nehmen wir an, so ein Thriller wird plötzlich Wirklichkeit, und Sie sind die Hauptfigur. Bis gestern lebten Sie Ihr blasses Leben, brav und bürgerlich, heute aber bricht dieses Leben auseinander: Wie fühlt sich das an?
Salman Rushdie - Jahrgang 47, ein Schriftsteller, brav und bürgerlich - sah sein Leben am Valentinstag 1989 auseinanderbrechen. Ein Anruf kam, eine Journalistin der BBC fragte: »Wie fühlt man sich, wenn man weiß, dass man gerade von Ayatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde?« Khomeini, der religiöse Führer im Iran, hatte den Autor soeben für vogelfrei erklärt. Grund: ein Roman, erschienen 1988, »Die satanischen Verse«. Das Buch sei »gegen den Islam, den Propheten und den Koran« gerichtet. Rushdie wollte an jenem 14. Februar zu einem Gedenkgottesdienst für Bruce Chatwin, den Freund und Reisegefährten; nun begann eine Reise, die zehn Jahre dauern würde: eine Reise in den Untergrund.
Mit dieser Szene - dem Anruf der Reporterin - beginnt Rushdies Autobiographie. Ein Monstrum, 720 Seiten stark; weitere 200 Seiten hat der Autor gestrichen. Biographie? Eher ist es eine Verteidigungsschrift. Der Bericht eines Mannes, der zum Opfer einer weltumspannenden Verschwörung wurde. Im Versteck musste Rushdie ein Pseudonym wählen, er nahm die Vornamen zweier Lieblingsautoren, Conrad und Tschechow: Joseph Anton. So heißt jetzt das Buch.
In der vorigen Woche erschien das Opus - unter Umständen, die ebenfalls an eine Konspiration glauben lassen. Viel Geheimnistuerei. Das Werk käme »zeitgleich in 27 Ländern« heraus, zeitgleich!, man stelle sich das vor. Deutsche Erstauflage: 100 000 Exemplare. Es sei ein »einzigartig offenes Buch« - so tönte Bertelsmann. Rushdie hatte vorab erklärt, er arbeite an einem literarischen Selbstporträt, wie man es von Gabriel García Márquez kenne.
Nun, da haben Autor und PR-Strategen ein wenig übertrieben. »Joseph Anton« ist streckenweise spannende, streckenweise zähe Lektüre. Viel nichtiger Alltag, nichtige Daten, nichtige Namen. Viel Prominenz (Essen bei Graham Greene, Auftritt in Wembley mit den Jungs von U2, in der Oper saß der Autor einmal neben Lady Di). Die Hauptfigur ist kein »Ich», sondern ein »Er«, ein recht eitles »Er«. Es zeigt kaum Distanz zu diesem Rushdie, der ein guter, bisweilen auch nur mäßiger Erzähler ist und ein Mann mit einer sichtbaren Vorliebe für sehr große, sehr wohlgeformte Frauen.
Wir lesen von der Kindheit in Bombay, Indien, vom atheistischen Vater, einem Geschäftsmann, von der Jugend in England, dem Studium in Cambridge, wir lesen von Rushdies Zeit als Werbetexter um 1980 (er pries Klebeband, Haarfärber, Luftschokolade), von seinen Romanen, seinen vier Ehefrauen, seinen Söhnen.
Packend die Szenen aus dem Untergrund. Das Versteckspiel. Fahrten im Jaguar. Bodyguards Tag und Nacht, Doppel-Null-Agenten. Es sah aus, als sei er ein Filmstar, doch er wurde »blass und zottelig«. Packend auch die Szenen einer Metamorphose: Wie die Verschwörer einen Mann dämonisierten, einen beliebigen Schriftsteller, wofür sie den Titel seines Buches missbrauchten. Wutschäumende Demonstranten verbrannten »Die satanischen Verse«, trugen »Satan Rushdy« durch die Straßen, eine Puppe, sie henkten und kreuzigten sie.
»Friss deine Worte«, schallte es durch die islamische Welt. Ein Pressefoto zeigt Kinder aus Beirut, schwarz verhüllt mit rotem Stirnband und dem Schild »We Are Ready To Kill Rushdy«. Ihn hat es nicht erwischt. Aber andere. Der norwegische Verleger wurde angeschossen, der japanische Übersetzer erstochen, in Buchhandlungen explodierten Bomben, bei Tumulten gab es Tote, Tote, Tote.
1998 erklärte Irans Regierung, sie würde ein Mordkommando gegen Rushdie künftig »weder unterstützen noch behindern«. Seitdem lebt er wieder als halbwegs freier Mensch, mittlerweile in den USA. Halbwegs heißt: Drohungen hört er weiterhin. Jedes Jahr am Valentinstag. 2007 wurde Rushdie von der Queen geadelt, Sir Salman, gleich gab es wieder Tumulte. Anfang 2012 wollte Rushdie zu einem Literaturfestival nach Indien; der Geheimdienst warnte vor Killern. Das Kopfgeld, mehrfach aufgestockt, liegt nun bei 3,3 Millionen Dollar. Und die Fatwa kann nur jener Mann zurücknehmen, der sie einst verkündete, Khomeini, und der ist lange tot.
Anrührend ist die Geschichte von der Geschichte, die der verbannte Autor 1990 für seinen ältesten Sohn schrieb, Zafar, damals zehn Jahre alt, ein Märchen, »Harun und das Meer der Geschichten«: Ein Märchenerzähler kann nicht mehr erzählen, weil ihm der »Geschichtenhahn« mit dem »Erzählwasser« abgedreht wurde. Der Sohn wird ihn retten.
Die Ansichten des Autors, sie vor allem sollten uns berühren. Er zitiert sich selbst, einen Zeitungsbeitrag aus den Jahren der Gefangenschaft: »Wie anfällig die Zivilisation ist, wie schnell, wie fröhlich doch ein Buch brennt!« Der Erzähler sieht die Menschheit in die falsche Richtung gehen, »hin zu Engstirnigkeit, Fanatismus, Tribalismus«. Am Ende der autobiographischen Reise notiert er über sich, seine »kleine Schlacht« und über die Leser: »Das Vorspiel war vorüber, und nun hatte die Welt mit dem Hauptakt zu kämpfen.«
Im vorigen Jahr, als er noch über dem Wälzer saß, äußerte sich Rushdie im »Spiegel«. Frage: »Befürchten Sie nicht, dass die Veröffentlichung Ihrer Memoiren radikale Muslime wieder gegen Sie aufbringt?« Rushdie erwiderte: »Ach, keine Ahnung. Daran zu denken wäre ein Denken der Angst. Die können mich mal.«
Salman Rushdie: Joseph Anton. Die Autobiographie. Deutsch von Bernhard Robben und Verena v. Koskull. Bertelsmann. 720 S., geb., 24,99 €.
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