Gegen den Korpsgeist

Stelle für Eingaben gegen Sachsens Polizisten

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Beschwerden gegen Polizisten sollen in Sachsen künftig unabhängig geprüft werden können. Grüne und LINKE wollen dazu Gremien einrichten. Ihre Ideen gehen leicht auseinander.

Wer sich in Sachsen über Polizisten beschweren will, die bei einer Demonstration übermäßig hart gegen Teilnehmer vorgehen oder - wie im Freistaat schon geschehen - sich bei einem SEK-Einsatz in der Tür irren, hat bislang keine guten Chancen. In den vergangenen drei Jahren wurden im Freistaat 640 Ermittlungen gegen Polizisten wegen Straftaten im Amt geführt. In 92 Prozent wurden sie aber wieder eingestellt, sagt die grüne Innenpolitikerin Eva Jähnigen. Verurteilt wurden Polizisten sogar nur in zwei Fällen - magere 0,3 Prozent. Allgemein werden in der Bundesrepublik nur gut ein Viertel der Strafverfahren eingestellt; bei 11,5 Prozent erfolgt eine Anklage.

Über die Ursachen für die auffällige Diskrepanz sind sich Experten einig: Ermittlungen gegen Polizisten sind äußerst schwierig zu führen. Zum einen ermittelt die Behörde quasi gegen sich selbst. Zum anderen gilt es unter den Beamten als verpönt, Kollegen zu belasten - ein Phänomen, das als Korpsgeist bekannt ist und beispielsweise im Gerichtsprozess um den Feuertod des Flüchtlings Oury Jalloh in Dessau seit Jahren zu studieren ist.

Zwei Anläufe im Landtag

In Sachsen gibt es jetzt Vorstöße, um das Problem zu beheben. Im Landtag fordern die oppositionellen Grünen und die LINKEN die Schaffung einer Stelle, die sich unabhängig mit Vorwürfen gegen Polizisten befasst. Verlangt wird das etwa von Menschenrechtsorganisationen seit langem; Amnesty International drängte auf derlei Stellen als Konsequenz aus einer 2010 vorgelegten Untersuchung mit dem Titel »Täter unbekannt«. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten forderte nach einem brutalen Einsatz gegen »Stuttgart 21«-Kritiker die Ernennung eines unabhängigen Polizeibeauftragten.

Passiert ist bislang in der Bundesrepublik wenig. Eine 1998 eingerichtete, ehrenamtliche Polizeikommission in Hamburg wurde im Jahr 2001 vom damaligen rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill aufgelöst. Derzeit arbeitet nur in Sachsen-Anhalt eine Beschwerdestelle beim Innenministerium, an die im vorigen Jahr 329 Eingaben gerichtet wurden.

Nicht nur ehrenamtlich

Die Institutionen, die Grüne und LINKE für Sachsen planen, unterscheiden sich von beiden Vorbildern. Anders als in Hamburg, sollen sie nicht nur ehrenamtlich arbeiten. Anders als in Magdeburg, sollen sie nicht beim Ministerium, sondern beim Landtag angesiedelt sein - »ähnlich wie der Landesbeauftragte für den Datenschutz«, erklärt Jähnigen.

Die beiden Gesetzentwürfe, die diese Woche erstmals im Landtag behandelt werden, unterscheiden sich aber auch voneinander. Während die Grünen eine fünfköpfige »Polizeikommission« fordern, der unter anderem ein Polizist angehören soll, schwebt den LINKEN eine Ombudsstelle vor, die als Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet werden und sogar in der Landesverfassung verankert werden soll; als Vorstand fungiert eine Ombudsperson. Die Amtszeit wird jeweils auf sechs Jahre veranschlagt, ein Jahr länger als eine Legislaturperiode. Die Mitglieder oder der Vorstand müssten, so die Vorstellung in beiden Fällen, mit Zweidrittelmehrheit im Landtag gewählt werden. Die Gremien sollen, so verlangen Grüne wie LINKE, jährliche Berichte vorlegen und dabei - wie in den Gesetzestexten vor allem betont wird - völlig unabhängig arbeiten können.

Groß sind die Chancen, dass Beschwerden über sächsische Polizisten schon bald unabhängig untersucht werden, derzeit allerdings nicht. Die Zeichen, die sie aus der Koalition von CDU und FDP erhalte, sprächen »klar dagegen«, räumt Jähnigen auf Nachfrage ein.

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